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  Reiseberichte
 


Inhalt 

27. Bericht. Dubai/ Vereinigte Arabische Emirate. Irgendwo zwischen Las Vegas, Disney Land, Wüsten und Burkas
26. Bericht. Indien. Der Nordwesten. Himalayjaaa
25. Indien. Die sieben Schwestern. Entweder Du liebst es oder Du hasst es
24. Myanmar. Das Land des goldenen Lächelns
23. Thailand. Ein täglicher Gesichtsverlust
22. Malaysia. Kontraste, Schätze und ölige Geschäfte
21. Singapur. Asien für Anfänger oder der Beginn eines großen Kapitels.
20. Neuseeland. Ein zweites "Haere Mai"
19. Neuseeland. Wo Hobbits Kiwis essen
18. Ecuador. Die Allee der Vulkane
17. Kolumbien. Wo der Dschungel die Anden küsst
16. Panama. Oh wie schön ist Panama
15. Costa Rica. Mit Tukanen auf Tuchfühlung
14. Nicaragua. Staunend vor dem Höllentor
13. Honduras. Porsche und Piraten
12. Belize. Don't move so fast white girl!
11. Mexiko, der Osten. Welcome to the Jungle!
10. Mexiko, das zentrale Hauptland. Durch und durch Mexiko
  9.  Mexiko, Baja California. Es macht die Wüste schön, dass sie irgendwo einen Brunnen birgt.
  8.  USA. Quer durch die Staaten - Good for you
  7.  Kanada. Bezaubert durch Weite und Herzen
  6.  Island. Wenn du dich im isländischen Wald verirrst - steh auf
  5.  Norwegen. Hinter jedem Hügel eine neue Welt
  4.  Schweden. Mehr als nur Ikea
  3.  Dänemark. Wenn dir das Wetter nicht passt, warte zehn Minuten
 
2. Deutschland. Gedanken einer Reisenden
  1.  Deutschland. Und es geht los!

 

27. Bericht. Dubai/ Vereinigte Arabische Emirate
(25.09.- 02.10.2014/ 35.308–35.379 km/ 271.055 – 271.146 hm)

Irgendwo zwischen Las Vegas, Disney Land, Wüsten und Burkas

Unser letzter Flug der Reise ist überstanden und sogar die Räder haben nicht einen Kratzer davongetragen – unsere Methode, keine Fahrradboxen zu nehmen, hat sich ein weiteres Mal bewährt. Bevor wir das erfahren, müssen wir jedoch noch durch die Personenkontrolle. Für Karina ist das kein Problem, doch Jan – tja, der hat immerhin einen seltsamen Bart. Grund genug für die Araber, ihn erst einmal beiseite zu nehmen und mit äußerst ernster Miene genauer unter die Lupe zu nehmen:

„Sagen Sie, rauchen Sie?“fragt die Grenzbeamtin.

„Nein, das ist nicht gut für mich, da ich mit dem Fahrrad um die Welt fahre - da brauche ich eine gute Lunge.“

„Sind sie sicher, dass Sie nicht gerne mal etwas Spezielles rauchen?“

„Nein, wie kommen Sie darauf?“

„…“

„Was ist das?“ Ihre Hände entfalten etwas…

„Ein benutztes Taschentuch…“

„Warum fahren Sie mit dem Fahrrad um die Welt? Was soll das bringen, wenn Sie damit fertig sind?“

„Ich möchte die Welt mit meinen eigenen Augen sehen. Ich mache Erfahrungen, die ich niemals vergessen werde.“

Ihr entfährt ein leichter Seufzer. „Gehen Sie weiter...“

Unsere Räder sind am Flughafen schnell wieder zusammen gebaut – ein weiterer Vorteil, wenn man keine Fahrradboxen verwendet. Zuletzt steckt Jan seine Deutschlandflagge auf sein Rad und wenig später kommen bereits erste Interessierte, die sich nach unserer Nationalität und unseren Plänen erkundigen. Sie sind höflich, zurückhaltend und lächeln - ach ja, wir sind ja gar nicht mehr in Indien…

Auf den ersten Metern vor dem Flughafen fällt uns ein, dass wir gar nicht wissen, auf welche Straßenseite wir müssen. Es ist Rechtsverkehr! Nach über einem Jahr mit fast ausschließlich Linksverkehr fühlt sich allein die Straßenführung schon ein wenig heimatlich an. Zu wissen, dass wir von nun an nur noch mit dem Boot in den Iran übersetzen müssen und dann aller Wahrscheinlich nach bis Deutschland durchradeln können, ist ein erhebendes Gefühl.
Dubais Straßen sind nach den Indischen so glatt, dass wir das Gefühl haben, unsere Räder fahren von selbst. Der Verkehr ist ziemlich schnell, doch alles ist so fließend, so ruhig, so organisiert. Das erste Mal seit Monaten können wir ohne Angst vor einer Abgasvergiftung unsere Atemmasken in den Taschen lassen. Am Wegrand gibt es alle paar Kilometer silberne Apparate, an denen wir uns eiskaltes Trinkwasser abfüllen können – in den letzten Monaten mussten wir das mühsam mit unserem Wasserfilter erledigen. Zwar brennt die Sonne am wolkenlosem Himmel unerbittlich auf uns nieder und wir spüren die Übermüdung nach dem Flug, dochtrotzdem fühlen wir uns beschwingt. Nervös ist Jan dennoch, da er sein 65kg schweres Fahrrad nahezu ohne Bremskraft fahren muss. In den Bergen des Himalayas versagte ihm nach drei Jahren zuverlässigen Diensteszuerst die eine Öldruckbremse, nun verliert seit einigen Wochen auch die Zweite mehr Öl als eine Frittenbude im Schwimmbad.

Unser heutiges Ziel sind Verwandte von Freunden, die uns wunderbarerweise bei sich aufnehmen, um uns das Hotel zu ersparen. Dubai hat zwar viele Vorzüge, jedoch nur, wenn das Portemonnaie entsprechend gefüllt ist. Auch bei einem Blick in ein Café, in welchem wir kurz darüber nachdenken zu frühstücken, müssen wir lernen, dass in dieser Hinsicht Indien deutlichbesser zu unserem Budget passte. Diese Gedanken sind allerdings sofort weggeblasen, als wir das erste Mal seit einem Jahr einen nach deutschen Verhältnissen normalen Supermarkt sehen. Nach einem zweistündigen Beutegang sitzen wir vor unseren neu erworbenen Lebensmittelschätzen wie Gollum vor seinem Ring und beißen strahlend von unseren Käsebroten ab.
Die immerhin 50 Kilometer durch Dubai bis zu unserem Ziel ziehen sich dank der Übermüdung. Doch wenn neben uns Gebäude wie das einzige sechs Sterne Hotel der Welt, das „Burj Al Arab“,erscheinen oderwir an einer menschengemachten Insel in Palmenform vorbeifahren, ist auch das zu überstehen.Wenn uns auch sonst eher das Schauspiel der Natur beeindruckt, staunen wirhier über die Kreativität der Architektur.
Ganz unarabisch werden wir am Ziel von unseren deutsch-indischen Gastgebern mit einem kühlen Bier in Gesellschaft anderer Europäer aus der Nachbarschaft empfangen. Im Gegensatz zu den Nachbarländern und selbst anderen Emiraten sind hier die Regeln,besonders für Ausländer, weniger eng.

Während wir in unserem neuen Heim die angenehme Gesellschaft unserer Gastgeber genießend, finden wir Zeit, die wie so oft mal wieder liegen gebliebene Schreibarbeit ein wenig nachzuholen. Hoffnungsvoll erwarten wir zudem ein prall mit Ersatzteilen gefülltes Paket aus Deutschland, zu allererst jedoch Jans neue Bremsen, ohne die er nicht einen Kilometer weiter fahren kann. Doch was die Post in Deutschland ist, hat mit dem Lieferservice hierzulande nichts gemein. Aufgrund der angegebenen Privatadresse und keiner Postbox wird unser so sehnlichst erwartetes Paket direkt am Flughafen, ohne auch nur einen Tag gelagert zu werden, zurück an den Absender geschickt. Wir lernen viel auf unserer Reise, manchmal eben auch schmerzlich…Einer glücklichen Fügung, vor allem aber unseren Gastgebern, verdanken wirden Kontakt zu einem deutschen Fahrradgeschäft in Dubai, dasmit den Spezialbremsen dienen kann. Zu allem Überfluss reihen sich unsere neuen Freunde spontan in unsere Sponsorenliste ein und übernehmen großzügig die Kosten.

Dank der gleichen Großherzigkeit erleben wir zwei weitere Highlights in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Auf zu Anfang erwähnter Palmeninsel besuchen wir gemeinsam „Atlantis“, wo wir nicht nur ein gigantisches Aquarium voller Meereslebewesen vorfinden, sondern auch das wohl vielseitigste Buffetunseres Lebens. Um nicht ganz wie Marsmenschen bzw.fehlplatzierte Langzeitfahrradreisende in einem Luxusrestaurantauszusehen- was in etwa das Gleiche ist - wurdezumindest Karina zuvor aus ihren Radlerhosen gezogen und in ein Abendkleid gesteckt – Aschenputtel wäre vor Neid erblasst…
Damit nicht genug, werden wir einige Tage später mit einer Wüstensafari überrascht. Ein professioneller Fahrer sorgt dafür, dass mir ausnahmsweise mal schneller als auf den Rädern vorankommen. So springen wir über die vielfarbigen Dünen dem Sonnenuntergang entgegen, während wir mehr als einmal fürchten,mit unserem Geländewagen kopfüber im Sand zu enden. Die gelungene Überraschung beenden ein typisch arabisches Essen in einer alten Wüstenfestung, ein sich im Kreise drehender Derwisch, die obligatorische Bauchtänzerin, Hennabemalung und eine gemütliche Wasserpfeife unter Sternen.

Bei bis zu 50°C im Sommer ist es nachzuvollziehen, dass gewöhnliche Spaziergänge hierzulande in eine der unzähligen ShoppingMalls verlegt werden. In einer der größten der Welt, der Dubai Mall, nehmen wir uns einige Stunden zur Besichtigung der kunstvoll angelegten Anlage, die uns ein wenig an die Hotels in Las Vegas erinnert. Natürlich lassen wir uns nicht die am Abend zu spritziger arabischer Musik tanzenden Wasserfontänen vor dem Gebäude im Schatten des mit 828 mderzeit höchsten Gebäudes der Welt, dem Burj Khalifa, entgehen.
Der eigentliche Grund unseres Aufenthaltes in Dubai ist das iranische Konsulat, bei dem wir nach vorherigem Kontakt mit einem iranischen Reisebüro unser Visumbeantragen dürfen. Hier bekommt Karina einen ersten Eindruck, was sie in wenigen Tagen für einige Monate erwarten wird: denn Verschleierung ist im Iran auch für Ausländer Pflicht.

Nach einer ereignisreichen Woche verabschieden wir uns von unseren neu gewonnenen Freunden und radeln zwischen unzähligen Wolkenkratzern als einzige Fahrradfahrer nordwärts, der iranischen Fähre entgegen. Diese wird uns in einer Nacht über die Straße von Hormus zum Hafen von Bandar Abbas in das mehrere tausend Jahre alte Perserreich bringen.

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26. Bericht. Indien. Der Nordwesten
(15.07. - 25.09.2014/ 33.329 - 35.308 km/ 250.694 - 271.055 hm)

Himalayjaaa

Nach mehreren Monatenim Osten Indiens finden wir uns in einem Hotel Neu Delhis wieder, in dem wir nach langer Zeit endlich wieder zur Ruhe kommen. Erschrocken wird uns bewusst,welche Gründe dafür verantwortlich sind: wir haben rigoros Indien ausgeschlossen, boykottieren größtenteils das indische Essen und haben selbst das Wetter mithilfe einer Klimaanlage verbannt, auf die wir sonst verzichten.Es wird dringend Zeit, dass wir uns einem ordentlichen „Tapetenwechsel“ unterziehen!
Notwendige Wartungsarbeiten an unseren Rädern und die Sisyphusarbeit, in einer großen und chaotischen Stadt wie dieser neue Reifen und nach Jans Unfall einen neuen Sattel zu finden, halten uns noch einige Tage fest. Nachdem Jan auf Ersatzteiljagd erlebt hat, wie es ist, in einem Stau aus Rikschas selbst mit dem Fahrrad für eine Stunde festzustecken, dem Ergattern der einzigen zwei hochwertigen Tourenreifen der Stadt, einem frisch eingetroffenen chinesischen Sattel und viel Schraubarbeit an den Rädern, brechen wir mit dem Zug gen Norden auf. Unser Plan ist es, von den Staaten Jammu und Kaschmir über Ladakh nach Himachal Pradesh und zurück nach Neu Delhi zu fahren. Auf unserem Weg liegen die höchsten Pässe der Welt außerhalb Tibets, eine Kultur, die sich grundlegend vom restlichen Indien unterscheidet und eine Landschaft, die uns andere Radreisende als schönste Radstrecke der Welt beschrieben haben.
Imnoch hinduistischen Jammu, der Winterhauptstadt des Staates Jammu und Kaschmir, steigen wir auf unsere Räder und beginnen, von nun an Tag für Tag Höhenmeter zu sammeln. Jan fährt seit Neustem mit nur noch einer Öldruckbremse, da seine zweite nach dreijährigem Dienst entschieden hat, in Ruhestand zu treten. Ersatzteile haben wir natürlich mit, für sein Problem gibt es jedoch erst in Europa wieder Hilfe…
Zuerst unterscheidet sich die Landschaft wenig vom bisher Erlebten. Mit steigender Höhe bessert sich jedoch das Klima und anstelle von Menschen beobachten uns nun unzählige Makaken neben der Straße.

Unser Eingangsportal in die muslimische Welt bildet der Kaschmirtunnel, welcher extra für uns einige Minuten gesperrt wird, um uns eine sichere Durchfahrt zu gewähren.Wenig später blicken wir auf ein grünes Tal herab, das in Indien berühmt für seinen Safran, Nüsse und Früchte gemäßigter Zonen ist. Heilige Kühe verirren sich besser nicht hierher, denn Kaschmir ist der einzige Ort in Indien, an dem allerhöchstens ihr Nährwert geheiligt wird. Auch sonst weisen etliche Anzeichen auf den Unterschied zum Rest Indiens – kein Wunder, dass es hier, wie jedoch auch in vielen anderen Randstaaten, eine starke Unabhängigkeitsbewegung gibt. Die Menschen mit ihren grünen, blauenoder karamellfarbenen Augen und auch ihre Kultur erinnern eher an Afghanistan oder Pakistan. Auch politisch bemerken wir eine Veränderung: immer wieder lesen wir Schriftzüge, wie „Save Gaza“ oder hören von Hotelbesitzern, die keine Israelis aufnehmen oder sogar Morddrohungen aussprechen.

Bereits während der ersten Minuten im Kaschmirtal erhalten wir die Einladung eines Inders in unserem Alter nach Srinagar, der Sommerhauptstadt Jammu und Kaschmirs. Unseren Weg dorthin säumen Pflanzen und Gerüche, die ein Bild von Europa erzeugen. Wieder einmal werden wir daran erinnert, wie gut uns die „Angewohnheit“ Europas gefällt, vier Jahreszeiten zu besitzen.
Fast eine Woche verbringen wir bei unserem Gastgeber in Srinagar. Bekannt ist der Ort durch die ursprünglich englische Tradition, in Hausbooten auf dem Dal (Linsen) Seezuwohnen, da der Maharadja zur Kolonialzeit den Hausbau untersagte. Heutzutage finden dort Touristen ihre Nachtruhe. Noch gibt es nicht das leiseste Anzeichen dafür, dass schon wenige Wochen später der gesamte Ort durch den starken Monsunregen überschwemmt und unser neuer Freund für ganze vier Tage in seinem Haus gefangen sein wird…
Von Höhenmeter zu Höhenmeter wird die uns umgebende Landschaft karger, felsiger, beeindruckender! Eine schier endlose Folge an Bergpässen nimmt mit dem Zoji La Pass ihren Anfang. Neben stinkenden LKWs kämpfen wir uns bei bis zu 16 % Steigung die staubige Schotterstraße auf eine Höhe von 3527 m hinauf - neben uns Gletscher auf Augenhöhe und endlich das Schild mit der Aufschrift „Ladakh“. Schon hier begegnen wir anderen Radreisenden, die in gleicher Richtung fahren. Auch unzählige Motorräder fahren an uns vorbei – keine andere Strecke in Indien zieht mehr Abenteuerlustige an. Die erste Nacht verbringen wir in Drass, nach Oymyakon in Sibirien, dem zweitkältesten, bewohnten Ort der Welt mit Tiefsttemperaturen bis -52°C. Gegen die momentanen 15 - bis 20°C haben wir jedoch wirklich nichts einzuwenden...

Zuerst umgibt uns nur Gebirge, das einige Yaks und wilde Pferde beherbergt. Bald sehen wir Nomadenzelte und sind begeistert von der ursprünglichen Lebensweise dieser Menschen. Schon wenige Momente später erinnert uns die Realität ein weiteres Mal daran, dass Vieles aus der Nähe betrachtet an Glanz verliert, als unsdutzende Nomaden penetrant anbetteln.
In den nächsten Tälern häufen sich dann bereits buddhistische Stupas. Der Baustil der wenigen Häuser erinnert stark an Tibet. Die Menschen, äußerlich ebenfalls eher mongolisch oder tibetisch zu nennen, tragen eine friedliche Ruhe in ihren Gesichtern und zumeist traditionelle Kleidung am Leib. Sie grüßen uns freundlich auf Ladakhimit dem wohl wichtigsten, bestimmt aber häufigsten Wort ihrer Sprache: „Juley“, was nicht nur „Hallo“, sondern gleichzeitig auch „Tschüss“, „Danke“ und „Wie geht’s“ heißt. In jeder Siedlung lassen sich Gebetstrommeln drehen und oft gibt es einfache, aber liebevoll eingerichtete Gasthäuser, in denen wir einen Unterschlupf und sogar etwas zu essen finden. Zwar fühlen wir uns hier längst wieder sicher genug, um zu zelten, doch als wir vor wenigen Tagen bei einer französisch–indischen Familie eingeladen waren, verbrachten wir nicht nur einen angenehmen Abend, sondern beherbergten zudem für fünf Sekunden eine aufgeschreckte Katze auf dem Dach unseres Zeltes. Das Resultat sind einige schicke neue Sichtfenster an Stellen, die eigentlich dafür gedacht waren, vor Regen zu schützen. Bis wir einen Reparaturkleber finden, ist also Zelten keine Option mehr…
Mit dem Erreichen der Stadt Kargil nähern wir uns der „Line ofcontrol“, der vorläufigen,da umkämpften Grenze zu Pakistan, bis auf einen Steinwurf, woran die unzähligen Militärposten erinnern. Unruhen gibt es zwar zum Glück bereits seit einiger Zeit nicht mehr, sich inmitten von zwei befeindeten Atommächten zu befinden,erzeugt trotzdem ein seltsames Gefühl im Magen. Nicht ohne Grund hat der ehemalige amerikanische Präsident Clinton Kaschmir noch vor wenigen Jahren als gefährlichsten Ort der Welt bezeichnet. Schnell lenkt uns aber ein ganz neuer Eindruck ab: unzählige Aprikosen in bester Erntezeit - und wir bekommen von unserem Gastwirt die Erlaubnis, so viel von seinen Bäumen zu essen, bis wir platzen!
Auf der weiteren Strecke nach Leh verändert sich unsere Umgebung noch rasanter als zuvor. Täglich haben die Berge ein anderes Erscheinungsbild, mal fahren wir zwischen engen Felswänden, mal umgeben uns Berge wie aus Rührteigoder gleichen den scharfen Spitzen der Lofoten in Norwegen – wir sind begeistert!

Schließlich in Leh, einer Art Outdoor-Hochburg und dem Ziel der meisten Touren im Nordwesten Indiens, geben wir uns gern für einige Tage dem bunten Treiben hin. Das Klientel vor Ort ist eine Mischung aus Trekkingtouristen, Buddhisten, Cafégängern, Motorradfahrern und Yogapraktizierenden. Durch den aktuellen Krieg zwischen Israel und dem Gazastreifen findet sich hier zudem der Großteil der reisenden Israelis ein, da sich die Buddhisten ihnen gegenüber verständlicherweise toleranter zeigen, als die Moslems.
Spontan entscheiden wir uns, kurzzeitig zu fast allen Zielgruppen zu gehören, nehmen also an einer buddhistischen Maskentanz-Zeremonie im nahe gelegenen Hemis Kloster teil, genießen fast schon westlich zu nennende Backstuben und Restaurants und mieten uns als Höhepunkt ein Motorrad. Samt Sondergenehmigungfahren wirüberKardung La, den höchsten befahrbaren Pass der Welt außerhalb Tibets (5602 m), in das im Winter gänzlich abgeschnitteneNubratal und erleben noch mehr Abgeschiedenheit und Ursprünglichkeit, als ohnehin in letzter Zeit. Dort finden wir gleich zwei Dinge, die wirklich niemand mit dem Himalaya verbindet: Dünen und die dazu passenden Kamele – letzteres vor langer Zeit von Reisenden aus dem Orient mitgebracht.
Wir genießen es,zur Abwechslung mal schneller und ohne Muskelkraft unterwegs zu sein und verstehen, wieso so Viele das Reisen auf dem Motorrad mit Freiheit gleichsetzen. Da wir jedoch die Stille des Rades kennen, das Gefühl, es aus eigener Kraft auf einen Berg geschafft zu haben und die bessere Wahrnehmung der Umgebung dank Langsamkeit steigen wir gerne wieder auf unser bisheriges Reisemittel um.
Zurück auf dem Fahrrad begeben wir uns in einen regelrechten Höhenflug in Richtung Manali. Auf unserem Weg liegen nebenvielen weiteren die Pässe Tag Lang La (5359 m) und La Chung La (5100 m). Das zuvor extrem trockene Klima um Leh lassen wir zugunsten von Regen und Schnee zurück. Mit gefühlt halber Kraft und der Ausdauer von Kettenrauchern spüren wir immer mehr den Einfluss der Höhe auf unsere körperliche Leistung. Im Gegensatz zu Karina möchte Jan die Berge ohne Mittel gegen Höhenkrankheit überstehen, wird allerdings dafür bei Nächten auf über 4000 m von starker Unruhe befallen.
Im Schneesturm und einer atemberaubenden Kulisse wie aus einer anderen Welt klettern wir dem klaren „Höhepunkt“ unserer Fahrradreise, dem Tag Lang La Pass, entgegen. Mehr als ein schnelles, mit zitternden Händen geschossenes Foto im Halbdunkel lässt die Temperatur nicht zu, bevor wir frierend und bei kompletter Dunkelheit auf einer zweifelhaften Schotterpiste in niedrigere Gefilde hoppeln. Ohne noch damit zu rechnen, überhaupt einen halbwegs angenehmen Schlafplatz zu finden, enden wir in einem von nun an häufiger zu findenden „Zelt-Hotel“ für Reisende und erhalten sogar noch ein warmes Abendessen. Karina schwört hoch und heilig, NIE wieder auch nur über einen Pass zu fahren, ist jedoch bereits am Folgetag wieder auf dem Rad…
Einige Tagespäter fahren wir das erste Mal seit vielen Wochenwieder unter 3000 m. Unsere inzwischen an die Höhe gewöhnten Lungen bersten fast vor Wonne, als sie den mit Kräuterduft versehenem Sauerstoff aufnehmen. Wir haben das Gefühl, noch nie so gut gerochen zu haben. Es ist ein so berauschender Moment, dass Jan unwillkürlich die Tränen in die Augen steigen.
Insgesamt zwölf Pässe brachten wir seit Srinagar hinter uns, als wir in Form des Rotang La Passes endlich auch den letzten und schlammigsten von allen überwunden wissen. Eine Vielzahl verunglückter und festgefahrener LKWs beweisenuns den Anspruch der Strecke selbst für Kraftwagen. Vor uns liegt nun unsere Belohnung in Form einer über 50 km langen Abfahrt nach Manali mit einzigartigem Ausblick. Doch schon nach wenigen Kilometern steht fest, dass Jan nicht einen Meter weiter fahren kann, da seine einzige intakte Bremse gerade jetzt ebenfalls den Geist aufgibt. So verbringt er ganz im Gegensatz zu Karina die restliche Strecke auf der Ladefläche eines Pickups.

Das ruhige Manali mit seinem gemäßigten Klima, dem ersten echten Käse seit fast einem Jahr, viel Obst und sogar Obstwein gefällt uns so gut, dass wir beschließen, so spät wie überhaupt nur möglich die letzten 500 km nach Neu Delhi zu fahren. Jan befüllt seine undichten Bremsen immer wieder neu mit Öl und hofft, so doch noch das letzte Stück ohne fremde Hilfeoder Alternativlösung fahren zu können.
Tatsächlich erreichen wir nach unserem exzessiven Höhentraining in nur wenigen Tagen die Hauptstadt und sitzen bereits wenig später im Flugzeug, dass uns vorbei an den Unruhen Pakistans und Afghanistans nach Dubai in die arabische Welt bringt.

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25. Bericht. Indien. Der Nordosten/die sieben Schwestern
(02.05. – 15.07.2014/ 31.755 – 33.329 km/ 241.149 – 250.694 hm)


Entweder Du liebst es oder Du hasst es

 

Moreh. Ein Ort, von dem selbst die meisten Indienreisenden noch nie gehört haben, bildet für uns das Eingangsportal zum zweitbevölkerungsreichsten Land der Erde. Hier befindet sich die wichtigste Grenze für die Handelsbeziehungen mit ganz Ostasien. Waffen, Drogen und Schmuck sorgen vor Ort neben den legalen Handelsgütern für Reichtum, der nicht mit der Regierung geteilt werden muss. Die Einwohner selbst sagen über den kleinen Ort des Staates Manipur, der noch vor wenigen Jahren als gefährlichster ganz Indiens galt, dass der einzige Grund hier zu leben das Geld ist. Ansonsten nennen sie Moreh einen abgelegenen Ort in einem abgelegenen Gebiet.
Auf unsere Einreise folgt fast minutiös der Einbruch des ersten Monsunregens des Jahres! Plötzlich auftretender Wind peitscht durch die Straßen und schnell verwandelt sich die Straße zu einem Fluss, der Massen an Unrat mit sich zieht. Vor einem Haus Schutz suchend genießen wir die Abkühlung und warten, bis das Wetter sich wieder beruhigt. Als wieder Normalität auf der Straße einkehrt, betrachten wir die Szene vor unseren Augen und können kaum fassen, wie unterschiedlich die Welt nur einen Kilometer entfernt in Myanmar war. Noch immer erregen wir riesiges Aufsehen, immerhin sind Touristen in dieser Region nahezu völlig fremd. Auch wird uns gesagt, dass wir zu den ersten Radreisenden der Welt gehören, die überhaupt die Sondergenehmigung erhalten haben, hier die Grenze zu übertreten. Doch wo in Myanmar gelächelt wurde, wird hier gestarrt. An Stelle von bisher asiatisch höflicher Distanz, tritt schlagartig Distanzlosigkeit, wie wir sie noch nie erlebt haben. Berge von Müll werden von nun an unsere stetigen Begleiter durch Indien – dabei dachten wir inzwischen wirklich abgehärtet zu sein.
Nach der visumsbedingten Eile in Myanmar und zur Akklimatisierung im neuen Land wollen wir einige Tage verschnaufen, besonders da wir einen unwahrscheinlich freundlichen und liebevollen Gastvater in unserem fast schon zu günstigen Hotel finden. Amöben bitten Karina gleich nach unserem ersten Restaurantbesuch, noch etwas länger zu bleiben. Hygiene und Indien sind eben keine guten Freunde... So vergehen fast zwei Wochen, in denen sich die Bewohner des Ortes langsam an uns gewöhnen und wir uns an die neuen Bedingungen. Wir lernen, dass Preise äußerst flexibel gesehen werden und für Fremde erst einmal möglichst hoch angesetzt werden. Stromversorgung, wie wir sie kannten, existiert nicht mehr und gleicht von nun an eher einem Roulettespiel: wenn man Glück hat, gibt es sie einige Stunden am Tag, ansonsten muss man eben Kerzen benutzen. Wir versuchen die permanente Geräuschkulisse rotzender Menschen zu überhören und trotz des stetigen Geruchs nach Tod und Fäkalien Luft zum Atmen zu finden. Es wimmelt von ignoranten Menschen, die z.B. zu bequem sind, Toiletten für ihre Notdurft zu benutzen oder im Inneren der Gebäude ihren roten Betelnussspeichel über die Wände verteilen.
Durch die jüngsten Erfahrungen etwas mutlos geworden, brechen wir, endlich wieder reisefertig, auf, um durch die „Sieben Schwestern“ zu reisen, wie die Oststaaten auch genannt werden. Die uns umgebenden Menschen lassen sich äußerlich eher als tibetisch/mongolisch beschreiben und sind auffallend kleinwüchsig. Wir erfahren, dass diese in Zentralindien oft als Ausländer angesehen werden und viele Inder dort nicht einmal wissen, dass die Oststaaten überhaupt ein Teil Indiens sind.

Während wir die ersten Berge in Richtung der Hauptstadt Imphal in Angriff nehmen, lernen wir den indischen Verkehr kennen: nahezu jedes Auto hupt quasi permanent. Uns wird später berichtet, dass Audi anscheinend neue Hupen für Indien entwickeln musste, da die gewöhnlichen hier nach drei Monaten defekt waren… Bald kann Jan keinen Kilometer mehr ohne Ohrenstöpsel fahren kann, wenn er seinen inneren Frieden nicht verlieren will. Auch den in Myanmar erworbenen Atemschutz können wir kaum noch beiseitelegen. Die Verkehrsregeln sind einfach: wer lauter und größer ist, hat Vorfahrt, um die heiligen Kühe fährt man herum und jede Lücke, wo auch immer sie ist, wird genutzt, um voran zu kommen bzw. die Straße gänzlich zu verstopfen. Wenn nicht wir auf den Verkehr aufpassen, finden wir uns bald unter den Reifen eines der unzähligen, bunt bemalten LKWs mit der Aufschrift „BITTE HUPEN“ wieder, die häufig fahren, als existierten wir nicht. Tatsächlich sehen wir praktisch täglich verunglückte Lastwagen, sei es, weil sie überladen waren, der Gesamtzustand des Fahrzeuges zu schlecht oder die Fahrweise zu riskant.

Mit zunehmender Höhe stellen wir fest: nicht nur das Klima verändert sich, sondern auch die Menschen werden ausgeglichener und freundlicher. Auch wir waren in der Hitze der Ebene angespannter, ruheloser und insgesamt unausgeglichener. Die Bergvölker des Ostens, übrigens zum größten Teil Christen, bestätigen unsere Wahrnehmung. Hier erhalten wir Hilfe, als ein Sturm uns an der Weiterfahrt hindert und können, eingeladen bei einer Familie, das erste Mal traditionell mit den Fingern essen, wie es hier in Indien üblich ist. Die Kommunikation miteinander ist kein Problem, da sich wie bisher in Indien immer jemand findet, der zumindest ein wenig Englisch spricht. Unsere Motivation, so wie bisher, immer ein wenig von der Landessprache zu lernen, geben wir schnell desillusioniert auf. Allein in den sieben Schwesterstaaten existieren etwa einhundert Völker mit ebenso vielen unterschiedlichen Sprachen bzw. Dialekten. Das Hindi, neben Englisch die offizielle Landessprache, versteht hier kaum jemand. Wen wundert es da noch, dass Indien in vielen Reiseberichten als buntes Curry beschrieben wird, dessen Zutaten so unterschiedlich sind, wie die Inder selbst. Für uns gleichen sich beispielsweise die Länder Europas im Grundsatz mehr, als die unterschiedlichen Staaten Indiens.

Unsere Mittagspausen verbringen wir in "Hotels", hierzulande die Bezeichnung für Restaurants. Dabei darf man sich nicht vom äußeren Erscheinungsbild verwirren lassen! In einem Palast kann verschimmeltes Essen serviert werden, während man in einer Bruchbude wie ein König speist – beides haben wir am eigenen Leib erlebt. Als relativ sicheres Entscheidungskriterium kann man höchstens auf die Anzahl der Gäste sowie die Uhrzeit achten, denn meist wird nur ein, bis zweimal am Tag gekocht und die Speisen anschließend der Sonne überlassen.
Aufgrund unserer Einstellung, aber auch der mangelnden Hygiene haben wir beschlossen, wie bereits zuvor auf Fleisch zu verzichten. Was im Zentrum des Landes überhaupt kein Problem ist, stellt sich hier im Osten in den abgelegenen Gebieten oft als schwierig heraus. Es scheint uns, als quellen die Märkte vor Gemüse über, in Restaurants jedoch sucht man es vergeblich. So beschränkt sich unser Essen oft auf Reis mit feurig scharfen Linsen und dem überall erhältlichen süßen Chai (Milchtee) – alles jedoch durchaus schmackhaft. Als „Knabberei“ bekommt man zu jedem Essen rohe Zwiebeln und Chilis dazu. Nach und nach entwickeln wir allerdings eine Art „Chili-Phobie“, da vor allem Karinas Magen praktisch ohne Unterbrechung gegen das scharfe Essen rebelliert. Es ist wohl nicht übertrieben zu behaupten, dass wir in Indien mehr Magenbeschwerden hatten, als auf der gesamten restlichen Reise zusammen… In Imphal, der Hauptstadt des Staates Manipur, ändert sich das vorher erwähnte völlig! Wir erleben eine überragende Bandbreite an wunderbaren vegetarischen Gerichten, Backwaren und Fladenbrot.
In ebendieser Stadt gehen wir auf Suche nach einigen Ersatzteilen für unsere Räder und lernen so die Mitglieder des Fahrradclubs „Pedal Attack“ kennen. Sofort wird für uns eine Versammlung einberufen, auf der wir einen Vortrag über unsere Reise halten. Wir werden wie Ehrengäste behandelt und schaffen es sogar spontan, eine gemeinsame zweitägige Radtour zum größten See Indiens, dem Loktak See, zu organisieren.

In Kohima, der Hauptstadt Nagalands, wo es noch bis in die 70er Jahre Kopfjäger gab, sammeln wir erneut längere Zeit Erfahrung im Stadtleben – diesmal, um liegen gebliebene Schreibarbeiten aufzuholen, da wir hier endlich dauerhaften Zugang zu Strom und günstige Zimmerpreise haben. Nach mehreren Zwischenfällen bei anderen Radreisenden haben wir uns entschieden, in Indien auf das Zelten zu verzichten und stattdessen günstige Zimmer zu mieten. Während des Einkaufs auf dem Markt lernen wir erst staunend, dann verwundert und schließlich angeekelt die lokalen Essgewohnheiten in Form von Fröschen, Ratten, Hornissenmaden, Seidenwürmern und Hunden kennen. Als „Qualitätsmerkmal“ werden beim Hundefleisch übrigens die Pfoten beigelegt

Nach der längeren Reisepause bewegen wir uns weiter in Richtung Assam. Immer wieder werden wir gefragt, welche Gefahren wir bisher überstehen mussten. Nach unserer Einschätzung haben sich die indischen Straßen zum größten Gefahrenpotenzial unserer Reise etabliert. Zuerst wird Jan von freundlich grüßenden Indern versehentlich von der Straße gedrängt und holt sich diverse Abschürfungen und einen zerrissenen Sattel und nur wenige Tage später kann Karina gerade noch von ihrem Fahrrad springen, um nicht bei einer Engstelle über den Haufen gefahren zu werden.

Als wir schließlich eine frühere Grenze mit dem Schriftzug „Assam“ passieren, sehen wir im Geiste bereits Bilder von mystischen Teeplantagen aufflackern. Diese offenbaren sich als überaus enttäuschend! In direkter Nachbarschaft mit dem unvorstellbar emissionsreichen Verkehr, den generell dreckigen Straßen Indiens und abgeladenem Müll finden wir die berühmten Teeplantagen Assams vor, die von Akazien ein wenig vor der sengenden Sonne geschützt werden. Uns bleibt einzig die Hoffnung, in den Bergen Darjeelings gesünderen Tee zu finden, denn was wir hier sehen, kommt uns nicht mehr in die Tasse… Positiv überrascht sind wir jedoch von dem Tierschutzgebiet „Marat Longri“, welches uns entlang eines geschwungenen Flusses führt: der grüne Dschungel offenbart uns etliche Affen und schöne Vögel, Straßenschilder des WWF weisen auf weitere Raritäten wie den bengalischen Tiger und Elefanten hin. Die vielleicht größte Attraktion des Staates, den Kaziranga Nationalpark mit der weltgrößten Population an Panzernashörnern, können wir leider aufgrund des Monsuns nicht besuchen.

Auf kleineren Straßen radeln wir bei unvorstellbar hoher Luftfeuchtigkeit und stetigen Temperaturen bis 40°C in Richtung Westen. Wir erfahren eine Aufmerksamkeit, die kaum zu beschreiben ist. Karina ist immer wieder lüsternen Blicken und Kommentaren von Männern ausgesetzt, die selbst in Jans Gegenwart gelegentlich erst durch harte Worte verscheucht werden können. Selbst im überwiegend muslimischen Malaysia fühlte sie weniger Notwendigkeit, ihren Körper zu bedecken. Wo wir stoppen, bilden sich in Sekunden Menschentrauben von bis zu 200 Männern (in ganz Indien hatten wir nie Probleme mit Frauen), die uns einfach nur anstarren oder versuchen, die Räder anzufassen. Wir entdecken enttäuscht von uns selbst, wie wir notwendigerweise zunehmend verhärten und unfreundlich werden, denn oft wird ein höfliches ausgesprochenes „ Nein“ nicht akzeptiert. Gleichzeitig entwickelt sich damit einhergehend unsere Fähigkeit, äußerst deutlich zu entscheiden und klarzustellen, was wir wollen und wo unsere Grenzen sind.
Mehrere Male werden wir für lokale Fernsehinterviews gestoppt oder finden vor unserem Hotelzimmer uneingeladene Zeitungsreporter und erfahren so am eigenen Leib, wie viel Energie es kostet, eine Person des öffentlichen Lebens zu sein. Dutzende Male pro Tag richten sich Handykameras auf uns – meist ohne vorherige Worte des Grußes oder einer Erlaubnis von unserer Seite. Welch gravierende Entwicklung, wenn man bedenkt, dass noch vor zwanzig Jahren die Kamera nur in der Hand des Touristen lag und die Fotomotive fürchteten, ihre Seele werde ihnen gestohlen…
Schöne Seiten hat diese enorme Aufmerksamkeit, als uns einmal ein Wohlfahrtsverband 50 km hinterher fährt, um uns mit traditionellen Schals willkommen zu heißen oder uns wiederholt Menschen schüchtern und mit zitternden Händen mitteilen, dass wir die ersten Weißen sind, die sie in ihrem Leben sehen und damit ein Wunsch von ihnen in Erfüllung gegangen ist.
Ein Umweg über den Staat Meghalaya bringt uns nicht nur in klimatisch, sondern auch menschlich und landschaftlich wieder in angenehmere Gegenden. Schon auf unserem steilen Weg in die Hauptstadt Shillong werden wir freundlich am Wegrand gegrüßt und von lachenden Kindern begleitet, die ein Stück neben uns her rennen. In der Stadt selbst besuchen wir das Don Bosco Museum für Völkerkunde. Mit Liebe zum Detail wird uns hier die kulturelle Vielfalt des Nordosten Indiens greifbar gemacht. „Trotzdem kann natürlich kein Museum den Eindruck einer echten Begegnung mit den Stammesvölkern ersetzen…“ denkt sich Jan, als eine ganze Gruppe komplett traditionell gekleideter Frauen das Museum betritt, um sich die eigene Geschichte anzusehen. Was wir gerade noch als Gipsbüsten hinter Scheiben gesehen haben, steht nun in Fleisch und Blut neben uns – SO muss ein Museum sein!
Unser landschaftliches Highlight erleben wir nahe der Grenze zu Bangladesch im „Schottland des Ostens“, wie die Region gerne genannt wird. Weite, mit Granitblöcken durchsetzte Wiesen führen uns nach Cherrapunjee, einem der regenreichsten Orte der Welt – natürlich bei Regen. Neben dem Besuch des Nohkalikai Wasserfalls, einem der höchsten frei fallenden der Welt, erreichen wir nach einer langen Wanderung durch den Dschungel und der Überquerung vieler klarer Flüsse lebende Brücken aus Gummibäumen, deren Wurzeln miteinander verflochten und sogar Steine „eingepflanzt“ wurden, um eine sichere Überquerung der Flüsse zu ermöglichen. Wir fühlen uns wie in einer Phantasiewelt!

Einen letzten Umweg vor unserer endgültigen Weiterreise in den Westen Indiens stellen die Berge um Darjeeling dar, wo wir im Gegensatz zu Assam tatsächlich hochwertigen Tee finden und manches über dessen Anbau lernen. Aufgrund der falschen Jahreszeit wird uns der Ausblick auf die beeindruckenden Berge des Himalayas leider verwehrt, da diese nahezu gänzlich in Wolken gehüllt sind. Dies bestätigt uns in der wenige Tage zuvor getroffenen Entscheidung, nicht wie geplant weiter nach Nepal zu fahren, sondern mit dem Zug in den Nordwesten Indiens zu reisen. Dort wollen wir in der wiederum besten Reisezeit doch noch durch den Himalaya zu radeln. Das somit übersprungene Flachland im Norden Zentralindiens um den Staat Uttar Pradesh lassen wir gerne aus! Die nicht enden wollenden Zeitungsmeldungen über immer neue und verachtenswertere Vergewaltigungsfälle, auch gegenüber Touristen, sowie das ewig heiße und feuchte Klima, das uns seit nahezu einem Jahr verfolgt, locken uns nicht im Geringsten. Von nun an richten wir unseren Blick lieber auf die raue und zeitlose Schönheit der Berge.
Auch wenn unsere Ausreise aus Indien zu diesem Zeitpunkt noch weit entfernt liegt, können wir bereits jetzt bestätigen, was andere Reisende über dieses Land sagen: Indien führt einen zu sich selbst! Mehr als einmal gelangten wir an Grenzen, die wir an uns noch nicht kannten und mussten lernen, genau auf unsere Bedürfnisse zu achten. Regeln, die für uns allgemeingültig schienen, haben hier oft keine Bedeutung. Wir haben Lebensbedingungen gesehen, die uns trotz langer Reise fremd waren und gelernt, welch großes Glück es ist, in ­­einem Land zu leben, in dem Menschen und ihre Rechte größeren Wert besitzen.


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24. Bericht. Myanmar
(05.04.-02.05.2014/ 30.136 - 31.755 km/ 232.004 – 241.149 hm)

Das Land des goldenen Lächelns

Ein überwiegend buddhistisches Land, bekannt für seine abertausend Pagoden, Klöster und alte Tempelanlagen – öffnet seine Grenzen! Bereits mit Beginn unserer Weltreise begleitet uns der Wunsch, Myanmar zu durchfahren, um Thailand über Land mit Indien zu verbinden. Ein nicht ganz einfaches Vorhaben für ein seit mehr als 50 Jahren vom Militär autoritär regiertes Land, wie dem früheren Burma. Noch bis vor einem Jahr war nicht daran zu denken, über Land einzureisen, seit einem dreiviertel Jahr hat Myanmar jedoch, einer neuen Richtung folgend, mehrere Landesgrenzen für Touristen geöffnet.
Unser bereits in Malaysia beantragtes Visum gestattet uns die Einreise von Thailand und einen 28-tägigen Aufenthalt im Land. Innerhalb dieser Frist gilt es für uns nun, mehrere Aufgaben zu erfüllen. Auf von Hand gebauten Straßen müssen wir über 1.700 km durch das teils bergige Land zurücklegen, um zur indischen Grenze zu gelangen. Voraussetzung dafür ist eine Sondergenehmigung, um das grenznahe Sperrgebiet und schließlich die Grenze zu überqueren, die nicht für internationalen Verkehr geöffnet ist. „Ganz nebenbei“ möchten wir natürlich auch einige Sehenswürdigkeiten besuchen, was ebenfalls Zeit kostet…

Vom thailändischen Mae Sot fahren wir also über die Grenze nach Myawaddy und betreten damit das früher stark abgeschottete Myanmar. Genau in der Mitte der Brücke, die die beiden Nachbarländer miteinander verbindet, wechseln wir die Straßenseite – nach Monaten des Linksverkehrs ein seltsames Gefühl, plötzlich wieder rechts zu fahren. Unser Visum wird akzeptiert, trotzdem wird uns erklärt, dass wir erst am Folgetag weiter fahren dürfen, da die 70 km lange Bergstraße - bis vor kurzem noch Sperrzone - eine täglich wechselnde Einbahnstraße ist. Andere Reisende erzählten uns glücklicherweise im Vorfeld davon und auch, dass wir als Fahrradreisende trotzdem durch die Kontrollposten gelassen werden. Somit schenken wir diesem Verbot keine Beachtung – eine Herangehensweise, die sich in Myanmar schnell als notwendig erweist. Zum einen ändern sich die Gesetze im Land immer wieder, so dass die zuständigen Stellen nur im Glücksfall richtig informiert sind, zum anderen ist das Land noch nicht auf Individualreisende, insbesondere Fahrradfahrer vorbereitet. So ist es beispielsweise gesetzlich vorgeschrieben, dass Touristen nur in speziell lizensierten (und natürlich deutlich teureren) Touristenhotels übernachten dürfen. Zelten oder die Unterbringung bei Privatpersonen ist verboten – natürlich zu unserer Sicherheit – oder anders ausgedrückt, da der Militärstaat ansonsten keinen Profit schlagen kann. Wie so oft entpuppt sich die Realität jedoch als weitaus weniger schlimm, als gedacht: schon am ersten Abend gibt es weit und breit kein Hotel. Einige Anwohner des kleinen Örtchens, in dem wir gestrandet sind, überreden uns, in ihrem Restaurant zu essen und laden uns trotz Verbot prompt ein, bei sich im Restaurant zu übernachten. Am nächsten Morgen befindet sich nur wenige Minuten entfernt ein Militärposten. Dort wird uns die durchaus berechtigte Frage gestellt, wo wir geschlafen hätten. Um die Familie zu schützen, antworten wir, wir hätten gezeltet (was ebenso illegal ist), „schließlich ist es ein langer Weg zum nächsten Hotel“. Ein etwas verwirrter Blick ist die Antwort darauf und das ist alles. Wie an den weiteren Posten werden unsere Personalien aufgenommen und damit dürfen wir auch schon weiter fahren. Einige Male zelten wir tatsächlich, jedoch mit größter Vorsicht, da uns bereits von anderen Reisenden von „nächtlichen Umsiedelungen“ berichtet wurde. Unsere liebsten Übernachtungsplätze sind jedoch genau wie in Thailand die Klöster. Noch immer (beziehungsweise wieder: siehe „Safranrevolution“) ist das Wort eines Mönches viel wert und so werden wir bei jeder Anfrage freundlich aufgenommen. Häufig wird pflichtbewusst (oder aus Angst vor Strafe?) die Polizei gerufen, in jedem Fall werden aber lediglich unsere Personalien aufgenommen und uns versichert, dass alles in Ordnung sei. Meist endet solch ein Abend in einer gemütlichen Runde aus Mönchen, Polizisten und manchmal noch interessierten Dorfbewohnern, in der wir extra für Asien ausgedruckte Fotos unserer Reise zeigen und Geschichten erzählen, sofern es der gemeinsame Wortschatz zulässt.
Langsam klettern wir Höhenmeter um Höhenmeter auf die grenznahen Berge und haben so Zeit, Land und Leute auf uns wirken zu lassen. Wir passieren einige Bambushütten, vor allem jedoch sehr einfache Holzhütten, deren Dächer mit besonders gefalteten Teakblättern gedeckt sind. Die Menschen ringsum wirken auf wundervolle Weise asiatischer, traditioneller, echter und schöner, als die der Nachbarländer. Schnell entdecken wir den wahren Schatz des Landes: das Lächeln, das uns überall entgegen gebracht wird. Es ist echter, offener und herzlicher, als in jedem anderen Teil der von uns bereisten Welt! Es ist offensichtlich, dass wir nie zuvor in solch arme Gebiete gefahren sind und nicht von der Hand zu weisen, dass die Burmesen immer wieder Schreckliches unter der Militärherrschaft der letzten Dekaden erleben mussten. Und doch konnten sie sich im starken Kontrast dazu eine ansteckende Freundlichkeit bewahren, die sich für immer in unseren Herzen einnistet. Ebenso typisch für Myanmar und zugehörig zu den lachenden Gesichtern ist die beige Paste aus zerriebenem Thanakaholz, das sich fast jede Frau und viele Männer unter anderem zum Schutz gegen die starke Sonne bereits seit Jahrhunderten auf das Gesicht auftragen.

Über die landschaftlich schöne Gegend Hpa-Ans fahren wir nach Kyaiktiyo, wo hoch oben in den Bergen die wichtigste Pilgerstätte der buddhistischen Burmesen liegt – der goldene Stein. Ein Balanceakt zweier übereinander liegender Felsen, deren Gleichgewicht der Legende nach ein Haar Buddhas hält.
Auch wenn uns Großstädte immer weniger reizen, sind wir gezwungen, einen Umweg über Yangon zu machen, um die Sondergenehmigung zu beantragen, von der unsere Weiterreise nach Indien abhängt. Nur durch einen Tipp anderer Radreisender, wissen wir von einer besonderen Reiseagentur, die uns mit großer Sicherheit helfen kann. Doch trotz schneller Hilfe der Agentur werden wir erst einige Tage vor der Sperrzone wissen, ob wir weiter fahren können oder direkt wieder umkehren und nach Indien fliegen müssen...
Die größte Stadt des Landes stellt sich mit vielen Prachtbauten und Grünanlagen als durchaus sehenswert heraus, besonderer Erwähnung bedarf die riesige Shwedagon Pagode, deren goldene Farbe einen selbst in der Nacht noch zu blenden scheint.
Mit der Hoffnung auf die Sondergenehmigung und regendicht verschlossenen Radtaschen verlassen wir Yangon pünktlich zum Beginn der heißesten Zeit des Jahres und dem damit einhergehenden Wasserfest, dem buddhistischen Neujahr. Für die kommenden vier Tage steht ganz Myanmar Kopf, Menschenmassen bevölkern die Straßen, um alles, was sich bewegt, ganz besonders bevorzugt jedoch weiße Fahrradreisende, unendlich nass zu machen – beziehungsweise traditionell zu reinigen! Wir merken kaum, dass das Thermometer erstmals auf unserer Reise bis auf 45°C im Schatten steigt, da wir alle hundert Meter literweise erfrischt werden. Es ist beeindruckend, wie viele Menschen friedlich miteinander feiern und mitunter eine Zerreißprobe unserer Nerven, wenn uns „ganz lustig“ Feuerwehrschläuche fast vom Fahrrad spritzen und immer wieder Wasser mit Hochdruck in unseren Ohren und Gesichtern landet. Da uns lediglich die Optionen „Visum überziehen“ oder „Weiterfahren“ bleiben, finden wir uns damit ab, die wohl nassesten Touristen des Jahres zu werden und irgendwie schaffen wir es, uns schließlich größtenteils dem Spaß anzuschließen. Ob es nun an dem teilweise aus Reisfeldern geschöpftem Wasser lag, das man uns überschüttete oder doch an einem Essen zweifelhafter Herkunft – inmitten des Wasserfestes steckt sich Karina mit Amöben an und verliert so schnell ihre Kräfte, dass sie kaum Rad fahren kann. Einer lustigen Menge, die mit großer Sicherheit kaum Englisch versteht, nun zu erzählen: „Meine Freundin ist krank, seid doch bitte so gut und übergießt nur mich“, zeigt nur mäßigen Erfolg. Ein großer Lastwagen, der uns per Anhalter zur nächsten Stadt (ganze 60 km) bringt, stellt sich als vielversprechender heraus. Dort angekommen ereignet sich eine Szene, die plakativ für ganz Myanmar steht: Bei einer Apotheke sind wir uns nicht sicher, welches Antibiotika am geeignetsten ist – also bringt die Apothekerin Karina auf dem Roller mal eben zu einem Arzt, dieser untersucht sie sofort und vor allen anderen Patienten, gibt ihr Elektrolyte, ein Rezept für die nötigen Medikamente und will nicht einen Cent dafür! Die Apothekerin bringt sie zurück, gibt ihr die Medizin und besteht ebenfalls darauf, uns alles zu schenken! Unglaublich!
Mit dem Erreichen Pyays erleben wir den Höhepunkt des Wasserfestes, wo ganze Straßenzüge völlig durchnässt feiern – wir mitten drin – eigentlich auf der Suche nach einem Zimmer und der Meinung, nach acht Stunden „Wasser marsch!“ eigentlich genug zu haben… Auf unserer weiteren Route durchqueren wir hunderte Kilometer Trockenland und können nur immer wieder die Köpfe schütteln, wenn wir daran denken, wie nur wenig weiter südlich unendliche Wassermassen verschwendet wurden. Wir begegnen Menschen, die mit dem Roller, zu Fuß oder dem Ochsenkarren oft mehrere Kilometer zurücklegen, um in einem Brunnen Wasser zu holen. In der Nähe des Popa Berges, dem Zentrum der „Nats“ (Naturgeister), krönen Menschen, die neben der Straße um Trinkwasser betteln, unsere Fassungslosigkeit.
Eine erfreulichere Erfahrung machen wir wenig später in Bagan. Touristisch gesehen stellen die viertausend Tempel dieser beeindruckenden archäologischen Anlage sicherlich das Highlight Myanmars dar. Dort erleben wir einen unbeschreiblichen Sonnenuntergang und  -aufgang und freuen uns darüber, mit unseren Rädern frei im Gelände herumfahren zu dürfen. Doch auch hier überschattet eine weitere Tatsache unsere Entdeckerfreude: Um das historische Gebiet für Touristen zu „säubern“, wurden die früheren Bewohner des Geländes kurzerhand zwangsumgesiedelt. Weiterhin gehen jegliche Eintrittspreise der Besucher (wie überall im Land) auf direktem Weg in die Taschen des Militärs, dem größten Feind der Demokratisierung Myanmars. Aus diesem Grund gehen wir diesen bezahlten Attraktionen meist bewusst aus dem Weg, werden aber unerklärlicherweise im ganzen Land auch nie um Eintrittsgelder gebeten. So können wir der Regierung ein Lächeln schenken, der Bevölkerung jedoch an den unzähligen kleinen Ständen und Restaurants eine kleine, direkte Hilfe.

An einem Fahrradladen, in welchem wir nur schnell einen neuen Fahrradschlauch kaufen wollen, zeigt uns die Besitzerin ganz aufgeregt die aktuelle Zeitung – mit einem großen Bild von uns beiden! Wir hatten kaum mehr daran gedacht, dass wir, bereits hunderte Kilometer entfernt, einem kleinen Interview eines Reporters zustimmten. Als wir bei unserer Reiseagentur in Yangon (also etwa 1000 km entfernt) noch am gleichen Tag nach unserer Sondergenehmigung fragen, wird uns gesagt, dass wir erst in einigen Tagen Ergebnisse zu erwarten hätten, jedoch bitte im eigenen Interesse von nun an weniger Aufsehen erregen sollten – über unseren Zeitungsartikel in der landesweiten Zeitung wüssten sie bereits bestens Bescheid…

Unser weiterer Weg führt durch eine weniger besiedelte Region abseits der Hauptstraße. Auf einmal folgen uns zwei Männer auf einem Roller. Ein seltsames Gefühl... Schließlich stellt Jan sie zur Rede und erfährt, dass die beiden unsere Polizeieskorte zu unserem persönlichen Schutz sind. Andernorts wundern wir uns also weniger, als wir wieder einmal verfolgt werden – natürlich wieder ohne ein Wort des Grußes oder einer Erklärung… Unsicher haben wir uns allerdings bisher auch ohne Eskorte nie gefühlt, wurden wir doch bisher allerorts zuvorkommend und freundlich behandelt.

Einzig der Verkehr hat Potential, einschüchternd zu wirken: stinkende „Lastwagengerippe“, die man andernorts lediglich in Museen findet, erledigen schnaufend ihre Arbeit, Fahrzeuge jeder Art, selbst Roller sind bis zur dreifachen Eigenhöhe mit Menschen und Waren beladen und die einzig ernstgenommene Verkehrsregel ist das beständige Hupen, das jegliche Handlung im Straßenverkehr begleitet. Im Staat Sagaing werden wir schließlich traurige Zeugen eines Unfalls. Nur Minuten, nachdem zwei Rollerfahrer und ein mit Menschen beladener Transporter zusammengestoßen sind, erreichen wir die Unfallstelle. Überall liegen blutende Menschen, einige bewegen sich nicht mehr. Nach und nach kommen immer mehr Schaulustige, während wir unseren für solch ein Szenario hinten und vorne nicht ausreichenden Vorrat an Verbandsmaterial möglichst „gerecht“ auf die Verletzten aufteilen. Menschen mit riesigen Wunden ins Gesicht zu sagen, dass sie erst später an der Reihe sind, ist eine Erfahrung, die wir keinem wünschen…
Während wir eine Ewigkeit auf den Rettungswagen - einen Geländewagen ohne jede medizinische Ausrüstung – warten, realisieren wir, wie wenig wir ausrichten können! Im starken Gegensatz dazu richten sich alle Blicke der Hilfesuchenden auf uns und uns wird klar, dass unsere Latexhandschuhe denselben Effekt eines Arztkittels haben. Als schließlich alle Verletzten auf dem Weg ins Krankenhaus sind, werden noch Auto- und Motorradhelmteile eingesammelt und wir fahren langsam und in Gedanken versunken unseres Weges. Nur hunderte Meter weiter stehen wieder freundlich grüßende Menschen neben der Straße, als sei das Erlebte nur ein böser Traum gewesen…
Einer empfohlenen „Abkürzung“ und „tollen, neuen Straße“ von Monywa nach Kalewa folgend, die nicht einmal mehr in unserer Karte verzeichnet ist, kommen wir nach 70 km wirklich guter Straße auf die Schlechteste der gesamten Reise. Eine Mischung aus Erde, Felsbrocken, Staub, Schlamm und jede Menge Höhenmeter verlangen noch einmal alles von uns ab, ehe wir nur noch 200 Kilometer vor der Grenze endlich Gewissheit über unsere weitere Reiseroute haben: Die Sondergenehmigung wurde uns erteilt und damit werden wir unter den ersten Fahrradreisenden der Geschichte sein, die auf dem Fahrrad nach Indien einreisen dürfen!

Die Menschen im Sperrgebiet auf dem Weg nach Tamu - überraschenderweise nahezu ausschließlich Christen - begrüßen uns wie Nationalhelden! Als wir eine kleine Rast machen, bildet sich eine Menschentraube um uns und Kinder geben uns schüchtern kleine Geschenke wie z.B. Wasserflaschen. In einem Restaurant wollen wir noch ein letztes Mal das oft vielseitige und kreative burmesische Essen genießen, welches sich übrigens außerordentlich von dem der Nachbarländer unterscheidet. Uns wird nicht gestattet, zu zahlen, so sehr wir auch darauf bestehen!
In der Grenzstadt Tamu selbst werden wir bereits von der Polizei erwartet, die von der Reiseagentur im Vorfeld informiert wurde. Uns bleibt noch eine letzte Nacht im Land des goldenen Lächelns – dann stehen wir im Büro der Einwanderungsbehörde, nur wenige Meter neben indischem Boden. Freundlich werden die letzten Formalitäten erledigt und beiderseits Erinnerungsfotos geschossen, dann radeln wir nach Manipur, dem berüchtigtsten Staat der „Sieben Schwestern“ Indiens.

Eine uns wichtige Anmerkung: Sollte jemand aufgrund unseres Reiseberichtes dieses wunderbare Land besuchen wollen, möchten wir ihn/sie nur ermutigen! Dabei sollte jedoch nicht die eigene Verantwortung vergessen werden, die jeder Tourist mit sich trägt: Noch ist in Myanmar der beispielsweise in Thailand bereits so weit verbreitete Materialismus selten zu finden. Ehrlichkeit und Freundlichkeit bestimmen den Alltag der meisten Burmesen und den Umgang mit Touristen. Es bleibt zu hoffen, dass die steigenden Besucherzahlen einen möglichst schleichenden Einfluss nehmen…


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22. Bericht. Thailand
(05.02. – 05.04.14/ 28.430 – 30.136 km/226.145- 232.004 hm)

Ein täglicher Gesichtsverlust

Es ist wie das Aufwachen aus einem Traum – nur ob der Traum aufhört oder anfängt, ist uns noch nicht klar… Während wir mit dem Fahrrad vom südlichsten Thailand bis zur Hauptstadt Bangkok und schließlich der Grenze Myanmars fahren, wird uns klar, dass unsere westlichen Normen lediglich Konzepte sind. Thailand ist anders. Das „Land der Freien“, wie es Einheimische gerne übersetzen, wurde nie von westlichen Mächten erobert und konnte sich so ganz eigene Normen und Verhaltensregeln erhalten, die unsereins zwangsläufig in einen Kulturschock katapultieren. Erst in den letzten Jahren gelang es dem weißen Mann endlich, mithilfe einer Massenvernichtungswaffe, sich das frühere Siam zu unterwerfen: Materialismus.

Von der Insel Langkawi in Malaysia setzen wir zu dem südlichen, überwiegend islamischen Teil des sonst größtenteils buddhistischen Thailands über. Mit
Satun betreten wir die erste Stadt des Landes. Noch vor einigen Tagen fiel es uns schwer, Malaysisch zu lesen, nun können wir nicht einmal ein einziges Schriftzeichen der thailändischen Sprache entziffern – exakt so müssen sich Analphabeten fühlen! Auf einmal werden Bilder und Symbole essentiell. Da hier kaum Touristen vorbei kommen, sprechen die Wenigsten Englisch. Ein Zimmer und einen vollen Bauch bekommen wir aber doch recht einfach, denn Zeichensprache ist universell.


Bei der Essensbestellung und beim Einkaufen machen wir die ersten Erfahrungen mit der hier geltenden Mentalität und lernen schnell, dass das „Gesicht“ eines Thais höchstes Gut ist und der Verlust desselben an vielerlei Orten droht. Kann jemand z.B. eine Frage nicht beantworten, verliert er sein Gesicht. Werden wir nicht verstanden, bekommen wir also meist als Antwort „Nein, das haben wir nicht“ oder werden einfach mit dem landesweiten Zeichen für „Bitte mach nicht weiter!“ - einem Lächeln - bedacht. Die Antwort „Ich habe dich nicht verstanden, erkläre mir das bitte noch einmal“, scheint nahezu unmöglich. Durchaus gewöhnungsbedürftig, doch in diesem Fall ist die Lösung schnell zu finden: wir zeigen einfach auf das gewünschte Produkt, das es natürlich gibt… Die altbekannte Situation, wenn man nach dem Weg fragt und einfach irgendwohin geschickt wird, erleben wir natürlich ebenso. Auch hier gibt es einen schnellen Ausweg: wir bedanken uns einfach für die Hilfe und fragen nach der nächsten Kurve noch einmal jemanden.Trickreicher wird es, als wir weiter nördlich in einem kleinen Hotel mit kostenlosem Wifi bleiben. Wie öfter mal in Asien, gibt es ein Problem mit der Verbindung. Jan bittet daraufhin an der Rezeption, den Router neu zu starten, um das Problem zu beheben. Unverstanden wird er mit großen Augen angeschaut, während mehrere Angestellte näher kommen, um zu sehen, was sich da abspielt. Der Frau an der Rezeption ist das nicht geheuer, vielleicht versteht sie auch nicht, was gemacht werden soll. Sich jedoch auf einen Konflikt einzulassen, würde klar einen Gesichtsverlust bedeuten. Die Lösung: wie auf ein unsichtbares Kommando verlassen alle ohne ein Wort den Raum und lassen einen verwirrten Jan zurück…
Wir merken uns also, dass das Wesen eines Thais für uns Europäer nicht immer leicht zu verstehen ist, aber da können wir uns ja anpassen. Schwieriger wird es mit offensichtlicher Doppelmoral: Schon eine entblößte Schulter, Umarmen oder Küssen in der Öffentlichkeit sind unziemlich, aber laut Dunkelziffer ist jede 10. Frau im Land Prosituierte, obwohl Prostitution eigentlich gesetzlich verboten ist… Die Umerziehung von Jungen zum anderen Geschlecht (sogenannte Kathoey oder Ladyboys), Homosexualität und Transsexualität, andernorts heikle Themen, werden hier wiederum gesellschaftlich größtenteils toleriert.

Auf unserem Weg entlang der Andamanensee erinnern wir uns an den verheerenden Tsunami, der 2004 das Land verwüstete. Wir wundern uns, wieso wir hier im Süden keinerlei Anzeichen von Schäden entdecken. Ein fahrradbegeisterter Lehrer, bei dem wir zu Gast sind, klärt uns schließlich auf, dass die hier im Süden noch weit verbreiteten Mangroven die gesamte vernichtende Energie der Wassermassen aufgehalten haben.

In der Provinz Trang entschließen wir uns, einige Tage auf einer Insel zu verbringen, immerhin gehören mehr als 500 Inseln zu Thailand. Wir entscheiden uns für Ko (dt. Insel) Mook, eine touristisch erschlossene, aber ruhige, noch recht unbekannte Insel inmitten einer Inselgruppe mit guten Möglichkeiten zum Schnorcheln. Dort wandern wir durch Kautschukplantagen und Dschungel mit mannshohen Blättern zu fast einsamen Stränden und erforschen die Unterwasserwelt. Auf einer lediglich von zwei Fischern bewohnten Felseninsel haben wir die Ehre, eine der inzwischen selten gewordenen Flughund-Kolonien zu beobachten.
Im Grunde genommen ist es ganz einfach, eine schöne Insel in Thailand zu finden: umso weniger man über die Insel in einem Reiseführer oder dem Internet lesen kann, umso schöner ist sie vermutlich. Beispielsweise Ko Phi Phi, die durch „The Beach“ weltbekannt wurde und ähnlich bekannte Inseln werden inzwischen von rücksichtslosem Tourismus erdrückt und können nur noch Urlaubern empfohlen werden, denen es reicht, sich für ein Foto an all den anderen Touristen und dem Müll vorbei zu dem einzig freien Fleckchen paradiesischem Strand zu drängen, das der schönen Kulisse des Reiseprospektes noch entspricht…

Einige Tage nach unserer Inselpause radeln wir unserem Reiseführer doch noch in die Falle, als wir in der Provinz Krabi ankommen. Hier soll es schwer zugänglich - ein Pluspunkt denken wir - Railay, den angeblich schönsten Strand der Welt geben. Die Rede ist von weißen Sandstränden, die von wunderschön geformten Felswänden einrahmt werden. Um dorthin zu gelangen, führt unser Weg durch Ao Nang, wo wir zunächst von den Hotelpreisen erschlagen werden, dann aber doch kostenlos vor einem schicken Hotel campen dürfen. Am Strand lassen sich die schönen, typischen Langboote mieten, um nach Railay zu kommen. Wir wollen es jedoch lieber ruhiger angehen lassen und entscheiden uns, statt der lauten, mit alten Automotoren ausgestatteten Boote, lieber für umweltfreundliche Seekajaks. Der Weg dorthin führt uns ohne jegliche Warnung in die größte Massagefabrik, die wir je gesehen haben. In langen Reihen liegen sonnengerötete, schwitzende und meist übergewichtige Touristen, die sich nach und nach durchwalken lassen – die berühmte thailändische Massage haben wir uns irgendwie romantischer und persönlicher vorgestellt. Schon umzingeln uns die eifrigen Anwerberinnen mit ihrem Kampfschrei „Massaasch!? Massaasch!?“. Eilig ergreifen wir die Flucht und können uns gerade noch in unser Kajak retten. Wenig später paddeln wir bereits um die Felsen der nächsten Bucht in friedlicher Stille – bis natürlich auf die ohrenbetäubenden Langboote und all die anderen Touristen, die ebenfalls die grandiose Idee hatten, ein Kajak zu mieten… Die Felswände stellen sich wirklich als ausnehmend schön heraus, kleine Höhlen und Engstellen lassen unsere Entdeckerherzen höher schlagen. An mehreren Klippen und Höhlen erkennen wir Seile – das Zeichen für eine ungewöhnliche Vorliebe einiger Asiaten. Hier werden Schwalbennester gesammelt, die später als Suppe in edlen Restaurants oder Erfrischungsgetränke in nicht wenigen Geschäften enden.
Als wir schließlich in die berühmte Bucht Railays einfahren, trauen wir unseren Augen nicht! Vor lauter weißer Körper und parkender Langboote ist es schwer, den Strand überhaupt auszumachen. Thailänder finden wir nur als Verkäufer oder Bootsführer – kein Einheimischer wäre so leichtsinnig, sich freiwillig der starken Sonne auszusetzen... Auf dem trüben Wasser, das die Taucherbrille wertlos macht, entdecken wir eine ölige Sonnencremeschicht und erkennen: das ist nicht mehr der schönste Strand der Welt…

Umso länger wir uns in Thailand bewegen, umso mehr kristallisiert sich für uns heraus, dass wir das Land gedanklich in zwei Teile teilen müssen. Im touristischen Teil erleben wir einen Verfall der Kultur und die Orientierung hin zum Materialismus. Freundlichkeit und Höflichkeit, die bislang als Markenzeichen dieses Landes galten, scheinen in der Zwischenzeit lediglich mit Geld erworben werden zu können. Im ländlichen Bereich, abseits der bekannten Sehenswürdigkeiten, entlang unbefahrener Seitenstraßen, inmitten der endlosen Kautschukplantagen oder in Restaurants versteckter Dörfer, lernen wir fröhlichere und freundlichere Menschen kennen. Wie schön, dass unsere Räder uns nicht nur nach A und B bringen, sondern uns auch die Geheimnisse dazwischen offenbaren! Dort versteckt findet sich noch immer das entschleunigte Thailand, für das die vielen, rege genutzten „Bambusliegehütten“ neben der Straße schon fast ein Symbol sind. Hier ist eben doch noch alles „Sabai Sabai“ (dt. Alles prima, alles wunderbar)!

Eine weitere Oase findet Jan weit entfernt vom Festland, als er sich für einige Tage von Karina verabschiedet, die alleine in Richtung Ostküste vorfährt. Für vier Tage erfüllt er sich einen Traum und tauscht in Khao Lak sein Fahrrad und unser einfaches Leben gegen ein unbeschwertes, für ihn inzwischen schon fast surreales Luxusleben auf einem Schiff ein, um in den abgelegenen Similan und Surin Nationalparks tauchen zu gehen.
Während einem Ausflug auf eine einsame Insel wandelt er 70 km vom Festland entfernt über den weißesten und feinsten Strand seines Lebens und durch unberührte Natur. Die Tauchgänge mit Riesenmantas, Barrakuda-Schwärmen, unzähligen Korallen und bunten Meeresbewohnern an so bekannten Stellen wie „Turtle Point“ oder Richelieu Rock“ brennen sich als unvergessliche Momente in sein Gedächtnis. Die thailändische Crew des Tauchbootes könnte kaum hilfsbereiter und freundlicher sein, das internationale Team der Tauchguides ist organisiert, kompetent und hat sich genau wie der Tauchshop dem Umweltschutz verpflichtet – was gab es an Thailand noch gleich zu kritisieren?
Zurück an Land, holt Jan die Realität wieder ein: die hunderten nächtlichen Lichter auf hoher See waren nicht die Küste, sondern unzählige Fischerboote, deren Besatzung doch arg vergesslich ist, entfallen ihr doch jede Nacht aufs Neue die Grenzen de
r Nationalparks…


Schon wenige Tage später, als wir wieder glücklich vereint sind, tauchen wir erneut (ein) - diesmal allerdings in die Lehren Buddhas. Schon in den vergangenen Wochen wurden wir immer wieder freundlich in Klöstern aufgenommen. Da es früher wenige Hotels gab, sind Reisende stattdessen behelfsweise in Klöstern aufgenommen worden. Diesen Brauch, unter Fahrradreisenden ein Geheimtipp, gibt es auch heute noch. Die meisten Tempel sind eine wahre Augenweide – und gleichzeitig Symbol für die Werteverschiebung im thailändischen Buddhismus. Prunk und Wirkung auf Andere scheinen an manchen Orten wichtiger als die Lehren Buddhas. Mönche haben einen riesigen Markt im Verkauf „magischer“ Amulette entdeckt, was ganz klar den Grundregeln des Buddhismus widerspricht.
Es gibt aber noch immer Orte, die sich mehr für die Lehren Buddhas interessieren, als für das Gold an ihren Statuen: Ein Beispiel dafür ist das Kloster Suan Mokkh, das der Mönch Buddhadasa Bhikkhu gründete, um den Buddhismus wieder auf das Wesentliche zu lenken. Genau dort schreiben wir uns für ein zehntägiges Schweige-Retreat ein, wo wir gemeinsam mit Menschen aus aller Welt in die Lehren Buddhas, das Meditieren und die Methode „Geistesgegenwart durch Atmen (Anapanasati) eingeführt werden. Jeglichen übrig gebliebenen Luxus tauschen wir gegen Holz- bzw. Steinbett und Holzkissen ein, stehen um 4:00 Uhr auf und konzentrieren unseren Geist auf Yoga, Thai Chi, Meditation, sowie fortlaufend auf unsere Atmung.

Als wäre es unser Wunsch, danach den größtmöglichen Gegensatz zu provozieren, erreichen wir schon wenige Tage nach dem Klosteraufenthalt die Millionenstadt Bangkok. Gerade noch bewegten wir unsin fast zeitloser Stille - nun müssen wir uns verdammt schnell bewegen, um nicht über den Haufen gefahren zu werden! Überall dichter Verkehr, Tuk Tuks, Abgase und wir mit unseren beladenen Rädern mitten drin. Mittendrin in der Stadt, die sich seit etlichen Wochen aufgrund der anhaltenden Proteste gegen die Regierung im Ausnahmezustand befindet. Lange fürchteten wir, deswegen in Schwierigkeiten zu kommen, immerhin mussten wir die Stadt betreten, um unsere Indienvisa zu beantragen. Tatsächlich unterscheidet sich das, was wir sehen grundlegend von dem, was die Medien zeigen. Zufällig stoßen wir auf die Protestlager, die eher Festival- als Terrorcharakter besitzen. Jegliche Straßenzüge, die wir sehen, verlaufen friedlich. Während der Visaantragsphase haben wir Zeit, Bangkok als Metropole zu nutzen, in der wir allerlei angehäufte Schreib- und Wartungsarbeiten, Arztbesuche und Einkäufe erledigen können.

Gut vorbereitet für Myanmar verlassen wir den Trubel Bangkoks und radeln über die historische und frühere Hauptstadt Ayuthayaan die Landesgrenze in Mae Sot. Hinter uns liegen zwei Monate in Auseinandersetzung mit unterschiedlichsten Weltanschauungen, in denen wir die 30.000 km Grenze überradelt und sicherlich dutzende Male unser Gesicht verloren haben - doch „Fareng“ (dt. Ausländern) verzeiht man gern...

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22. Bericht. Malaysia
(03.12.13 – 05.02.14/ 26.802 - 28.430 km/ 215.940 - 226.145 hm)

Kontraste, Schätze und ölige Geschäfte


Mit dem Betreten der Großstadt Johor Bahru an der Grenze zu Singapur tauchen wir in das zweite Land Südostasiens ein. Die Schilder um uns herum beweisen deutlich: nun sind wir im „richtigen“ Asien angelangt – denn wir verstehen nicht einmal mehr Bahnhof. Zwar verwendet Malaysisch glücklicherweise noch die lateinischen Buchstaben, der Inhalt bleibt uns jedoch
größtenteils verborgen. Lediglich moderne Worten klingen seltsam vertraut und schmunzelnd erinnern wir uns an den großen Einfluss der Briten auf die frühere Kolonie: Will man hierzulande an einem entfernten Ort einen Kopi mit Freunden trinken, bestellt man ein Teksi, das sollte vier Tayar besitzen, um fahrtüchtig zu sein, ansonsten nimmt man, so wie wir, lieber das Basikal. Alles klar?!
Gerade während der ersten Tage in einem neuen Land stellen sich uns immer wieder die gleichen Fragen: Wie sind die Grußworte hierzulande, die besonderen landestypischen Regeln und natürlich nicht zuletzt die Preise für Unterkünfte und Nahrungsmittel, damit wir nicht den allseits beliebten „Touristenaufschlag“ zahlen müssen. Unser Reiseführer hilft uns zu Beginn oft bei den ersten Schritten, meistens lernen wir jedoch von der einen oder anderen Begegnung auf der Straße weitaus
Wichtigeres.
Malaysia ist das erste muslimische Land auf unserer Reise. Etwa 60% der Bevölkerung gehören dem Islam an. Wir sehen viele
in Kopftuch gehüllte, teilweise sogar gänzlich in Burkas verborgene Frauen, fühlen uns in unserem Freiheitsgefühl jedoch in keinerlei Hinsicht eingeschränkt, wie man es vielleicht erwarten würde.

Unser erstes Ziel ist eine Insel im Osten des Landes, die uns als richtiges Ambiente für Karinas
baldigen Geburtstag erscheint. Als wir bereits die Hälfte der Strecke zurückgelegt haben, übernachten wir in einem Zimmer mit Fernseher. Aus reiner Neugier, mal Malaysisches Fernsehen zu sehen, schalten wir eine Nachrichtensendung ein. Die Schlagzeilen des Tages spielen sich keine 5 km von uns entfernt ab! Verdutzt erfahren wir, dass riesige Flächen im Osten des Landes aufgrund starker Regenfälle überflutet sind – mehr als 40.000 Menschen wurden bereits evakuiert – bei uns regnet es nicht einmal… Wir ändern also unsere Route in Richtung Kluang, einer wirklich unspektakulären, ruhigen Stadt, die nun ersatzweise Ausrichter Karinas Geburtstagsparty wird. Nach nun schon zwei Geburtstagen fern ihrer Freunde und Familie ist ihr sowieso wichtiger, der Heimat durch Internetverbindung ein wenig näher zu sein. Auch um unsere Reiseerlebnisse wieder einmal etwas aufzuarbeiten, mieten wir uns also für fast zwei Wochen ein winziges Zimmer. Der Hotelbesitzer beweist uns seine Freundlichkeit, als er unerwartet mit einer Pizza als Geburtstagsgeschenk vor unserer Zimmertür steht! Ein schönes Beispiel übrigens für die Freundlichkeit der Menschen hierzulande. Wie wohl überall auf der Welt, werden wir noch herzlicher aufgenommen, wenn wir versuchen, uns der Landessprache zu bedienen.
Während der kommenden,
ruhigen Tage findet sich in Arbeitspausen ausreichend Zeit, bei Spaziergängen durch den Ort immer mehr über Malaysia zu lernen. Gerade durch die Teilnahme am „normalen Leben“ erfahren wir wahrscheinlich deutlich mehr, als man an touristischen Orten mitbekommen mag.
Noch vor nur 20 Jahren war der Ort von zahlreichen Flughunden bevölkert (daher der Ortsname:
Kluang = Flughund), durch den Städtebau, die gezielte Jagd, vor allem aber durch die immer größeren Palmölplantagen ist nicht mehr einer in dieser Region zu finden. Allein Malaysia und Indonesien liefern 87% der weltweiten Produktion von Palmöl, dem am häufigsten genutzten Öl der Welt. Dafür wurde ein Großteil des Dschungels abgeholzt und die dort lebenden Tiere vertrieben oder getötet. Trotz immer größerer Proteste der Weltöffentlichkeit werden auch heute noch in Borneos Plantagen die wenigen verbleibenden Orang-Utans teilweise mit Flammenwerfern gejagt – sie gelten als Störung des Arbeitsablaufes... Eine der wenigen großen Arten, die sich an den Raubbau an der Natur anpassen konnte, ist die des Bindenwarans. Mehrere der bis zu drei Meter langen und damit längsten Warane der Welt, finden wir sogar an einem Bach inmitten der Stadt.

Ein weiteres Lernfeld bietet die enorme Vielfalt des Essensangebotes, welches sich aus der Vielzahl der hier angesiedelten Kulturen ergibt. Ob einen nun malaysisches, chinesisches
, indisches oder thailändisches Essen interessiert, hier kommt jeder auf seine Kosten. Wir essen z.B. jungen Farn, Fladenbrote (Roti und Naan) mit Linseneintopf, gedämpfte Knödel, scharfe Soßen und natürlich viel Reis. Schnell müssen wir, seit einiger Zeit Vegetarier, jedoch lernen, dass getrocknete Sardinen nicht als Fisch, sondern als Gewürz gelten und anscheinend äußerst gerne verwendet werden…
Nach dem langen Aufenthalt an einem Ort treibt es uns schnell voran in Richtung der Hauptstadt Kuala Lumpur. Landschaftlich besitzt der Großteil der Strecke leider wenig Charme! Kaum ein Quadratmeter wird nicht für
den Palmölanbau verwendet und Umweltverschmutzung sowie Gestank toppen sogar unsere Erfahrungen in Honduras. Manchmal ist es wirklich schade, dass Atmen verpflichtend ist! Einen Lichtblick hingegen stellt der immer wieder freundliche Kontakt mit Menschen dar.

Kuala Lumpur bietet für jeden Geldbeutel etwas Passendes. Wie in vielen Hauptstädten entsteht so ein krasser
Gegensatz zwischen Arm und Reich in direkter Nachbarschaft. Neben angenehm gekühlten Restaurants und riesigen Shoppingmalls finden sich schmierige Gassen und etliche Bettler. Wir besuchen Chinatown mit der bekannten Petaling Straße, die tagsüber von Touristen, nachts von Müll verstopft ist, die Märkte Little Indias und das Wahrzeichen der Stadt, die Petronas Towers des gleichnamigen Mineralölkonzerns. Malaysia ist wirklich ein Land der Vielfalt und Kontraste!
Währenddessen nähert sich das Weihnachtsfest, doch viel mehr als einige geschmückte Plastiknadelbäume in der Nähe von Einkaufszentren finden wir nicht. Zwar verbringen wir nun schon den zweiten „Winter“ in den Tropen, aber irgendwie klappt es immer noch nicht, bei schwülen
35°C besinnlich zu werden.

Eine kurze Erholung vom Gestank und Verkehrsstaub der Stadt bieten uns die nahen Kanching Wasserfälle. Auch dort kennt zwar niemand den Verwendungszweck eines Mülleimers, doch mit jeder Stufe des terrassenförmigen Flusses auf den Berg finden wir mehr und mehr unberührte Natur und schließlich kristallklares Wasser, das sogar zu einem Bad einlädt.

Ein weiteres Highlight Kuala Lumpurs bieten die Batu Caves, einem bis zu hundert Meter hohen Kalksteinhöhlensystem, das als hinduistischer Tempel und Spielplatz hungriger, auf Plastiktüten spezialisierter Makakenaffen verwendet wird. Vorbei an der eindrucksvollen, 42 Meter hohen, goldenen Statue der hinduistischen Gottheit Murugan, führen steile 272 Stufen ins Innere. Ob uns nun ein Opferritual
, bei dem Milch, Kokosnüsse, Reis und Farben über einen Speer geschüttet werden, befremdlicher vorkommt, als  Affen, die Cola-Dosen klauen, öffnen und dann gierig trinken, können wir nicht entscheiden. Klar ist jedoch, dass die Höhlen während des Thaipusam Festivals die meisten Besucher anlocken. Lange Prozessionen ziehen dann zu den Höhlen, als Glaubensbekenntnis opfern viele Pilger ihre Haare, Menschen tanzen sich in Ekstase, einige stechen sich in Trance sogar Metallstäbe durch die Haut oder kasteien sich auf andere Weise.

Als wir die Stadt verlassen, freuen wir uns, endlich wieder in Richtung unberührterer Natur zu fahren. Unser Ziel ist der Nationalpark „Taman Negara“, dessen äußerst kreativer Name übrigens „Nationalpark“ bedeutet. Dieser „Nationalpark Nationalpark“ beherbergt den mit mehr als 130 Millionen Jahren vermutlich ältesten Dschungel der Erde, da hier im Gegensatz zu anderen Dschungelgebieten äußerst
konstante Klimabedingungen herrschen. Schon die Bergstraße nordöstlich von Kuala Lumpur bringt uns ins ersehnte Grün und stellt für uns den bisher schönsten Straßenabschnitt des Landes dar. Ziemlich schnell sind wir dann aber wieder von endlosen Palmenplantagen umgeben, die erst mit der Grenze des Nationalparks zurück bleiben.
Auch hier hat die Flut vor zwei Wochen massive Schäden angerichtet und mehrere Häuser weggeschwemmt. Ein Hotel, das zwar kurzzeitig zu einer Insel wurde, aber glücklicherweise das Hochwasser unbeschadet überstanden hat, erklärt sich freundlicherweise bereit, auf unsere Sachen aufzupassen, so dass uns der Dschungel für mehrere Tage verschlucken kann. Wir hätten niemals gedacht, bei einer Wanderung gerade mal
zwei Kilometer pro Stunde zu schaffen und trotzdem wie in der heißesten Sauna zu schwitzen. Die Luft ist so feucht, dass wir die Tröpfchen in der Luft sehen können! Der schmale Pfad verschwindet immer wieder unter umgestürzten Bäumen und ist zwischen der grünen Wand aus Pflanzen manchmal nur durch systematische Suche und einen guten Orientierungssinn zu finden. Ob wir doch den wärmstens empfohlenen Führer hätten nehmen sollen?! Auf jeden Fall verstehen wir nun sehr gut, wie leicht man sich im Dschungel beim kleinsten Fehler hoffnungslos verlaufen kann. Weitaus mehr Sorgen machen wir uns jedoch um unsere Beine: Jeder unserer Schritte wird genauestens von Landegeln verfolgt, die zu tausenden in Richtung unserer Körperwärme kriechen, um unser Blut zu saugen. Ein deutsches Pärchen, das uns vor einigen Tagen begegnete, blutete aus dutzenden Wunden und war so eine wirkungsvolle Warnung für uns. Eine doppelte Lage Socken, die wir über die Hosenbeine ziehen, schützt uns zumindest kurzzeitig, bis wir die Parasiten entfernen können. Einige schaffen es dann doch, sich durch die Socken zu bohren und lange blutende Wunden zu beißen.
Vorbei an Bäumen mit riesigen Brettwurzeln dringen wir immer tiefer in den Urwald ein, wo Elefanten, Großkatzen und Tapire leben. Unsere Nächte verbringen wir geschützt in hohen Schutzhütten für Wildbeobachtung neben nächtlich leuchtenden Augen und ganz nebenbei nähert sich auf leisen Sohlen das Neujahr.


Zurück auf den Rädern steuern wir die über 1000 m hohen Cameron Highlands an und trinken – seit Wochen das erste Mal in angenehmerem Klima – direkt neben malerischen, mit leuchtend grünen Teepflanzen bedeckten Hügeln Schwarztee.


Zunehmend erreichen uns Nachrichten aus Thailand über Proteste gegen die Regierung. In der Hauptstadt habe es bereits mehrere Tote gegeben und inzwischen sei der Notstand ausgerufen worden. Aus diesem Grund entschließen wir uns, möglichst wenig Zeit in Bangkok zu verbringen und das Visum für Myanmar nicht dort, sondern lieber in Kuala Lumpur zu beantragen. So lassen wir unsere Räder in der nördlich gelegenen Stadt Ipoh und fahren mit dem Zug zurück zur Hauptstadt.

Es erweist sich als ein wenig komplizierter
als erwartet, doch nach einer weiteren Woche sind wir berechtigt, über die erst vor wenigen Monaten geöffnete Grenze von Thailand nach Myanmar auf dem Landweg einzureisen. Zwangsaufenthalte wie dieser werden sich wohl von nun an häufen. Im Gegensatz zum amerikanischen Kontinent, in dem das Visum bei Einreise gängig ist, verlangen viele asiatische Länder die vorherige Beantragung eines Visums.
Eine interessante Entschädigung für die Wartezeit liefert uns das chinesische Neujahr, das wir nun doch noch miterleben dürfen. Die aufwendige Zeremonie vor den kunstvollen chinesischen Tempeln, zu der wir freundlich eingeladen werden, beinhaltet einen akrobatischen Tanz mehrerer Menschen in Löwenkostümen, meterhohe Räucherstäbchen, eine Menge Geschenke für die Verstorbenen (damit sie es im Jenseits gut haben) und natürlich den obligatorischen Knallern.


Zum Abschluss Malaysias einigen wir uns auf einen Umweg über die Touristeninsel Langkawi direkt an der thailändischen Grenze. Karina hat Gutes gehört, Jan fürchtet Touristenfallen, Zeitverschwendung und fehlende Natur. Glücklicherweise behält Karina Recht: Auch wenn tatsächlich wahre Touristenströme zur Insel pilgern, finden wir dort idyllische Strände und viel Grün. Ein Sonderstatus gestattet der Insel Steuerfreiheit, wodurch Schnäppchenjäger angelockt werden und der sonst im Land so teure Alkohol erschwinglich wird.

Für einige Zeit fühlen wir uns bei Straßenmusik und neuen Bekanntschaften im internationalen Backpacker-Ambiente wohl, dann zieht es uns wieder zurück ins Unbekannte, zu unserem Vorhaben und dem weiteren Weg der Heimat entgegen. So betreten wir schon bald in Thailand erneut Festland.


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21. Bericht. Singapur
(28.11. – 03.12.13/ 26.629 – 26.802 km/ 215.220 –
215.940 hm)

Asien für Anfänger oder der Beginn eines großen Kapitels.


Als wir unsere Fahrräder fast schon routinemäßig nach dem Flug zusammenschrauben, ist es bereits dunkel. Eben noch in Neuseeland, rollen wir nun schon vorbei an den ersten Hochhäusern Singapurs durch die selbst nachts noch typisch tropische Schwüle des winzigen Inselstaates. Fliegen ist einfach zu schnell – unsere Seelen werden wohl erst in einigen Tagen eintreffen…
Was das geschäftige Treiben am Flughafen noch verschleierte, tritt uns nun während der ersten Kilometer ins Bewusstsein: Wir sind in Asien! Was für ein enormes Kapitel unserer Reise doch gerade beginnt! Wie werden wir wohl empfangen werden, wann werden wir das erste Mal rätselnd vor Schildern und Menschen stehen, die wir nicht mehr verstehen?! Wie sehr werden wir unsere Essgewohnheiten ändern müssen?

Für „Asienanfänger“ wie uns eignet sich Singapur jedoch prima. Wenn auch die Realität das ein wenig anders sieht, ist Englisch hier Amtssprache und der Hygiene- und Sauberkeitsstandard entspricht zumindest großteils dem westlichem Standard. Leider ist die hohe Entwicklung auch im Geldbeutel zu spüren, da wir jedoch gerade von Neuseeland kommen, merken wir davon nichts, sondern freuen uns sogar über die günstigen Nahrungsmittelpreise.
Die Hotelsuche der ersten Nacht entwickelt sich zu einer wahren Odyssee. Mit Hilfe freundlicher Einheimischer lernen wir, dass die Hotels unserer Preisklasse nicht einmal ein Werbeschild besitzen und sich schon gar nicht an der Hauptstraße befinden. Nach langem Suchen in völlig fremder Umgebung und ein wenig Feilschen können wir endlich in einem indischen Hotel für die wenigen restlichen Stunden der Nacht ausruhen. Dass wir nachts zusammen bleiben dürfen, verdanken wir dem nachsichtigen Hotelbesitzer, denn in diesem Hotel schlafen Männer und Frauen normalerweise getrennt.
Am nächsten Tag meint es das Schicksal wieder gut mit uns: über das Gastfreundschaftsportal „Warmshowers“ erhalten wir die Einladung einer jungen Familie, die sich als einfach nur wundervoll herausstellt und unseren Aufenthalt im Stadtstaat maßgeblich beeinflusst. Von nun an wohnen wir in einem der unzähligen Wolkenkratzer und verstehen uns so gut, dass wir uns schnell wie alte Freunde unserer Gastgeber fühlen. Während einer gemeinsamen Radtour bekommen wir einen Einblick in die gigantische Vielfalt der Essensangebote, sowie der Gemüse- und Obstmärkte. Interessanterweise findet man diese – und damit das alltägliche Leben der einfachen Leute – fast ausschließlich innerhalb von Häuserblocks. Hier gelten andere Preise als an den Hauptstraßen und man vergisst fast, in einer hochtechnisierten Stadt zu sein.

Auf einer weiteren Rundtour fahren wir entlang der Entwässerungskanäle - ein Geheimtipp, um dem lauten Treiben der Stadt ein wenig zu entkommen. Hier finden sich nicht nur Radwege und Raum für sportliche Betätigung, sondern auch Warane, große urzeitlich aussehende Echsen, die auf diese Weise inmitten der Stadt leben können! An einer nahen Parkanlage trifft uns dann ein Gewitter apokalyptischer Ausmaße! In wenigen Minuten steigt das Wasser der Kanäle auf zehnfache Höhe, Fußgängerwege werden zu Teichen und nur 50 Meter neben uns schlägt ein Blitz ein, so dass wir die Schallwellen im ganzen Körper spüren! Ein Szenario, wie wir erfahren, das für Singapur durchaus nicht ungewöhnlich ist. An keinem Ort der Welt werden mehr Blitzeinschläge verzeichnet, als hier. Als wir uns umschauen, sehen wir, dass selbst kleinste Schuppen Blitzableiter besitzen. Auch die Kanäle scheinen mühelos mit solchen Wassermassen zurecht zu kommen. Schon am Abend ist der Wasserpegel um Meter gesunken…

Am nächsten Tag begeben wir uns noch einmal auf eigene Faust in den Großstadtdschungel. Unser erstes Ziel für heute ist der Genuss des „Königs der Früchte“. Bereits am ersten Abend rochen wir den unverkennbaren Geruch der Durian bzw. Stinkfrucht über Straßen hinweg. Die mit ernstzunehmenden Stacheln bewehrte Frucht besitzt etwa die Größe eines Fußballs und im Inneren puddingartiges Fruchtfleisch. Der Geschmack lässt sich wohl am ehesten mit süßer Zwiebel vergleichen – für uns ein interessantes, wenn auch einmaliges Erlebnis…
Während wir einige der Hauptsehenswürdigkeiten der Stadt, wie z.B. den wasserspeienden Merlion (halb Löwe, halb Fisch) besuchen, erinnern wir uns, dass Singapur gerne scherzhaft als „a fine city“ bezeichnet wird. Für unzählige Dinge, unter anderem Kaugummikauen, Spucken oder Müll auf die Straße werfen, gibt es teils horrende Strafen. Doch wenn wir eines auf unserer Weltreise gelernt haben, dann, dass die Realität meist anders aussieht als erwartet. Besonders sauber, wie es Singapurs Ruf erwarten lässt, kann man es nur im Vergleich zu den Nachbarländern nennen und Verhaftungen haben wir trotzdem keine gesehen… Wirklich bemerkenswert ist die Architektur rund um das südliche Ufer der kleinen Insel. Architektonische Meisterleistungen lassen uns fast vergessen, dass wir Natur stets Städten vorziehen. Einen gelungenen Hybriden finden wir in den „Gardens by the Bay“: geschmackvoll installierte Pflanzenwelten locken uns, für Stunden neue Gerüche, Farben und Formen zu entdecken.
Besonders beeindruckt uns die Vielseitigkeit unserer neuen Umgebung. In direkter, anscheinend völlig friedlicher Nachbarschaft finden wir buddhistische, chinesische und hinduistische Tempel, sowie christliche Kirchen und muslimische Moscheen. Die direkte Nachbarschaft ist zwar nicht freiwillig, sondern wie vieles in Singapur gesetzlich vorgeschrieben, der Friede zwischen den Glaubensrichtungen aber echt. Auch wir werden hier lediglich als Menschen und nicht als „Außerirdische“, wie teils in ländlichen Regionen Lateinamerikas, betrachtet, da wir nur eine der vielen verschiedenen Hautfarben auf der Straße darstellen.

Bevor wir wieder auf unsere Räder steigen, um nach Hause – also etwa die letzten 18.000 km - zu fahren, kommt uns zu unserer großen Freude ein wenig Heimat entgegen. Zwei Bekannte aus Deutschland besuchen uns, mit im Gepäck Grüße unserer Liebsten und ein wenig neue Ausrüstung.

An unserem letzten Tag in Singapur vollbringen wir dann die enorme sportliche Leistung, ein gesamtes Land innerhalb eines Nachmittages zu durchqueren (!) – nun gut, die knapp 40 km ohne nennenswerte Steigung bis zur Brücke nach Malaysia kann man wohl auch einer Grundschulklasse zumuten...
Umgeben von hunderten Rollerfahrern, die lediglich zum Arbeiten nach Singapur kommen, warten wir in einer speziellen Reihe für Zweiradfahrer. Alles um uns herum knattert, als wir am Grenzschalter von einer jungen Frau mit Kopftuch den Einreisestempel erhalten. Malaysia wird das erste überwiegend islamische Land unserer Reise sein. Auf einem Schild werden wir noch einmal daran erinnert, dass wir, genau wie in Singapur, für jeglichen Drogenbesitz die Todesstrafe zu erwarten haben. Zum Glück möchten wir nur bewusstseinsverändernde Menschen treffen und einzigartige Momente in unseren Herzen versteckt über die Grenze schmuggeln…


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20. Bericht. Neuseeland 2
(25.09. – 28.11.13/ 24.439 – 26629 km/ 196.869 – 215.220 hm)


Ein zweites "Haere Mai“


Wir stehen am Frankfurter Flughafen, wo der Abschied - genau wie das Wiedersehen vor vier Monaten - von Tränen begleitet wird. Nach über zwei Jahren der Fahrradweltreise sahen wir das erste Mal unsere Familien und Freunde wieder – ermöglicht durch das ZDF, das uns in einer Livesendung zum Muttertag zu Hause willkommen hieß. Was wir vorher nie geplant hatten, mögen wir nun nicht mehr missen…

Mit einem Mal sind wir wieder zurück „in der Welt”, die plötzlich ganz schön groß aussieht. Inzwischen wissen wir, was es heißt, die halbe Welt mit dem Fahrrad zu umrunden und wie lange sich weitere anderthalb bis zwei Jahre anfühlen werden. Was wird in dieser Zeit passieren? Wird alles „gut“ gehen? Lohnt es sich, erneut Entbehrungen in Kauf zu nehmen, auf Freunde, Familie, Einkommen und Sicherheiten in der Heimat zu verzichten? Nur um unser Projekt zu beenden, aus Neugier, aus Abenteuerlust? Doch zu viel haben wir noch nicht gesehen und unser Ehrgeiz, die Welt zu umradeln, zu schaffen, was wir uns vorgenommen haben, ist groß geblieben. Unsere Entscheidung steht fest und so umfliegen wir an einem einzigen Tag die halbe Welt, um dort unsere Reise fortzusetzen, wo wir sie vor vier Monaten unterbrachen: Neuseeland.
Christchurch empfängt uns recht kühl und regnerisch, aber der Sommer nähert sich ja bereits: Aus Frühling, Sommer und Herbst in Deutschland gehen wir nun nahtlos in den Frühling und bald wieder Sommer über...

Nach wenigen Tagen der Eingewöhnung schwingen wir uns erneut auf die Räder, verkaufen allerdings vorher unseren Anhänger, der uns 25.000 km zuverlässig unterstützte. Die Aussicht auf eine lange Periode warmer Länder ermöglichte uns, einige warme Sachen in Deutschland zu lassen und so mit geringerem Packmaß weiter zu fahren.
Unser erstes Ziel ist Mount Sunday westlich von Christchurch inmitten der südlichen Alpen, besser bekannt unter dem Namen „Edoras, Hauptsitz von Rohan“ aus dem Film Herr der Ringe. Wie fast jeder Meter in Neuseeland wird auch hier das Land als Viehweide genutzt, liefert uns jedoch trotzdem eine beeindruckende Aussicht.
Gerne wären wir über den „Rainbow Pass“ in Richtung Norden weiter gefahren. Temperaturen bis -18°C und ein halber Meter Schnee auf der ungeräumten Schotterstraße vereiteln unseren Plan, so dass wir auf die Straße entlang der Ostküste ausweichen. Bei stetig angenehmeren Temperaturen begegnen wir Seerobben und passieren ungewöhnlich viele abgebrochene Bäume. Bald erfahren wir, dass erst zwei Wochen vor unserer Rückkehr ein enormer Sturm über die Insel fegte. Ein Gefühl dafür bekommen wir wenige Tage später bei einem weiteren Sturm, der sogar Autos von der Fahrbahn bläst. Nach einem harten Kampf mit dem Wind suchen wir Schutz auf einer Schaffarm, wo wir freundlich aufgenommen werden.
Über die lebendige Stadt Nelson im Norden der Südinsel fahren wir weiter zum Abel Tasman Nationalpark, der vor allem für seinen goldenen Strand mit Sandsteinformationen berühmt ist und schließlich mit der Fähre durch die Marlborough Sounds von Picton zur Hauptstadt Wellington auf der Nordinsel.

Mit Hilfe lieber Freunde finden wir im Südwesten einige schöne, mit Felsen umgebene Strände, landschaftlich reizt uns die südliche Nordinsel jedoch wenig und wir beschließen, lieber rascher gen Norden zu fahren.
Spätestens im Tongariro Nationalpark (bzw. „Mordor“ für alle die sich auf Tolkiens Spuren bewegen) erleben wir dann wieder wundervoll raue und ursprüngliche Natur. Mit dem malerischen Mt. Ngauruhoe bzw. Mt. Doom zur Rechten und Mt. Tongariro zur Linken laufen wir das 20 km lange „Tongariro Crossing“ vorbei an Schwefelgeruch, türkisblauen Seen und kochend heißen Feldern. Was ein Vulkan anrichten kann, zeigt uns eine zerschmetterte Schutzhütte, die erst vor 15 Monaten von einem Felsbrocken des aktiven Te Maari Kraters zertrümmert wurde. Unsere Räder inklusive Ausrüstung warten übrigens gut versteckt hinter Büschen auf unsere Rückkehr…
Weniger gefährlich - thematisch aber noch immer ein aufregendes Höllenszenario - erscheint uns Rotorua weiter nördlich. Kochendes Wasser aus Löchern inmitten einer Asphaltstraße oder im Vorgarten eines Hauses ist hier genauso normal wie Schwefelgeruch und blubbernde Schlammgruben neben einem Golfplatz oder einer Kirche.
Wenn auch mehrere Empfehlungen Einheimischer an die ruhige und kaum touristische Ostküste führen, lässt unser Visum keinen so großen Umweg zu und wir fahren stattdessen um die Coromandel Halbinsel. Endlich sehen wir die berühmten Kaoribäume, die früher mit ihren gigantischen Stämmen weite Teile des Nordens besiedelten. Rückhaltlose Forstwirtschaft hat jedoch bereits vor 100 Jahren nahezu den gesamten Bestand ausgerottet. Heutzutage ist der Restbestand durch eine Krankheit bedroht, die mit großer Mühe einzudämmen versucht wird. Überhaupt sehen wir viel Aufwand, das ursprüngliche Ökosystem wieder herzustellen, aber vor allem wird uns bewusst, dass jegliche ökologischen Probleme menschlicher Ursache (Gier, Ignoranz und Unwissenheit) sind. Eigentlich passt zum Ruf Neuseelands auch nicht, dass Kunden in Supermärkten mit wahren Plastiktütenbergen überschüttet werden und diese es sich gerne gefallen lassen oder dass Müll auf dem Land teilweise immer noch im Garten verbrannt wird. Vielleicht sind wir dafür aber auch einfach zu deutsch…
Bevor wir die Halbinsel wieder verlassen, besuchen wir natürlich noch die „Cathedral Cove“, einen natürlichen Tunnel direkt am Meer mit beeindruckenden Felsformationen, und die wohl bekannteste Sehenswürdigkeit, den „Hot Water Beach“. Durch zwei unter dem Strand verlaufende heiße Quellen können wir uns neben einer wahren Horde anderer Touristen, aber auch Einheimischer, einen eigenen Whirlpool graben. Privatsphäre gibt es zwar nicht, aber die Mischung aus eigenem Schaffen und dem warmen Bad als Belohnung hinterher ist einfach allerliebst!

Trotz nun schon längerer Zeit im Land, haben wir es bisher noch nicht geschafft, in näheren Kontakt mit Maoris zu treten. Für uns ist der Besuch der Nordinsel Neuseelands unweigerlich erst durch das Eintauchen in die Maorikultur komplett. Bisher sahen wir lediglich mehrere Versammlungshäuser, vereinzelt Menschen mit traditionell tätowierten Gesichtern, die gemütlich im Supermarkt einkauften und natürlich die ausnehmend schönen Schnitzereien der Maoris.
Wie es der Zufall will, reißt kurz vor einem kleinen Maoridorf ein Schaltzug an Karinas Fahrrad, so dass wir nicht weiter können. Bei einem Lehrerehepaar, das uns äußerst herzlich und unkompliziert mit einem „Haere Mai“ (Willkommen) bei sich aufnimmt, staunen wir während des gemeinsamen Abends über den lebendigen Einblick in ihre Kultur, den wir uns so sehr gewünscht haben und sie wiederum über unsere Reisegeschichten – ein inspirierender Abend! Unter anderem reden wir über den Verfall und die Entwicklung ihrer Kultur - beispielsweise sind heutzutage nur noch 24% aller Maori ihrer Sprache mächtig, immerhin war Ende des 19. Jahrhunderts das Sprechen von Maori sogar bei Strafe verboten und ist erst seit 1987 als eine der offiziellen Landessprachen Neuseelands eingetragen. Die zweisprachige Erziehung wie in dieser Familie ist selten, doch langsam wächst das Interesse bei der Bevölkerung wieder, Maori zu beherrschen. Auch wenn die Neuseeländer sich bereits früh für ein gesundes Miteinander zwischen Weißen und Maoris einsetzten und als vorbildliches Land für den Umgang von Siedlern mit indigener Bevölkerung gelten - die Statistiken sind ernüchternd: Maoris führen in der Verbrecherstatistik, der Arbeitslosenquote, bei Drogendelikten und der Suizidrate.

Als wir schließlich in die Nähe Aucklands kommen, entscheiden wir uns zugunsten des abgelegenen Strandes Pihas, östlich der Metropole gelegen, lieber weiter zu fahren und dort bei einer Bekannten unsere wenigen letzten Tage in Neuseeland zu genießen. Die Region, aber auch unsere Gastgeberin, stellen sich als wahrer Schatz heraus und wir unternehmen herrliche Wanderungen am Meer, inmitten von blühendem Flachs, weiten Sumpfgebieten und dem nahen Wald mit majestätischen Kaoribäumen.
Als unser Abschied naht, treibt uns eigentlich nur zweierlei zum Flughafen: Die riesige Neugier, endlich Asien kennenzulernen und die Tatsache, dass es dann zwei "Deutsche" weniger im Land gibt – denn von denen sind hier mehr als genug!

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19. Bericht. Neuseeland 1
(04.04. – 07.05.13/ 23.665 – 24439 km/ 190.560 – 196.869hm)

Wo Hobbits Kiwis essen


Es ist erstaunlich! In wenigen Stunden lässt sich selbst als gewöhnlicher Tourist die halbe Welt umfliegen. Da das wirklich überhaupt nichts mit unserem gewöhnlichen Reisetempo auf dem Fahrrad gemein hat, “freuen” wir uns, dass es wenigstens noch hier und da einige Herausforderungen zu meistern gibt, bevor wir von Ecuador in Neuseeland ankommen. So gibt es keinen Direktflug, sondern wir müssen zuerst einen Zwischenstopp in den USA einlegen. Dort angekommen, konfrontiert man uns mit Gepäck- und Reisevorschriften, die weder auf der deutschen Internetpräsenz der Fluggesellschaften zu finden sind, noch in vorheriger Rücksprache mit den deutschsprachigen Hotlines in Erfahrung gebracht werden konnten. Kurz ausgedrückt: wir müssen 600 Dollar extra für unsere Ausrüstung zahlen, da es keine Regelung für Sportgepäck mehr gibt. Zusätzlich verweigert man uns den Weiterflug, da wir noch kein Weiterflugticket haben und so stranden wir in Los Angeles. Völlig übermüdet bleiben uns weniger als 24 Stunden Zeit, ehe unsere Flugtickets verfallen, um erneut reisefertig zu werden.
Endlich an Bord, fliegen wir Aotearoa entgegen, dem Land der langen weißen Wolke, wie es auf Maori heißt. Angekommen in der Hauptstadt Wellington können wir es kaum erwarten, auf Entdeckungsreise zu gehen, denn durch die große Abgeschiedenheit der Insel entwickelten sich eine einzigartige Flora und Fauna. 85 % der Pflanzen Neuseelands sind endemisch, also nur hier zu finden, Landsäugetiere fehlten völlig, wodurch flugunfähige Vögel an ihre Stelle treten konnten. Schon der Flughafen macht Lust auf mehr: Entlang riesiger Panoramafotos, die einen nach Mittelerde versetzen, gehen wir durch das Terminal. Ein von Maori, den ersten Siedlern der Insel, geschnitztes Portal, aus dem Segnungen per Lautsprecher klingen, begrüßt uns am anderen Ende der Welt.
Noch bevor wir wieder auf unsere Räder steigen, erleben wir einen klassischen, wenn auch angenehmen “Kulturschock”. Nach Lateinamerika sind wir plötzlich umgeben von weißen Menschen. Wir sind nicht mehr die Hauptsehenswürdigkeit des Tages, ja die Leute gehen sogar an uns vor, ohne uns zu beachten! Wir fühlen uns magisch unsichtbar und endlich nicht mehr als Personen des öffentlichen Lebens. Die Straßen sind deutlich sauberer und wir müssen auch nicht mehr befürchten, unvorhergesehen von schlimmsten Gerüchen überwältigt zu werden. Lediglich die Preise schaffen das nach Südamerika dann doch noch ab und an...

Nach einer “Akklimatisierung” bei einer Freundin nehmen wir die Fähre durch die Marlborough Sounds zur Südinsel. Als sich während der Überfahrt am Horizont majestätisch die Silhouette eines Königsalbatrosses in der Ferne abzeichnet, ist für Jan klar, dass wir auf jeden Fall zur Otago Halbinsel müssen, dem weltweit einzigen Festland-Brutort dieser enormen Vögel. Zuvor radeln wir jedoch westwärts durch das Wairau Valley mit seinen endlosen Weinbaugebieten zur Westküste. Der äußerst geringe Verkehr erleichtert uns die Gewöhnung an den für uns ungewohnten Linksverkehr. Entlang des schön geschlungenen Buller River machen wir erste Bekanntschaft mit den berüchtigten Sandflies bzw. Kriebelmücken, die zu hunderten hinter unserem Blut her sind. Durch Kleidung können sie nicht beißen und bei Nacht lassen sie einen komplett in Ruhe – nicht gerade nett also, aber auszuhalten. Überhaupt ist das Wildleben in Neuseeland Menschen gegenüber äußerst friedlich, gefährliche Tiere fehlen gänzlich.

Der flache Weg nach Westport an der Westküste lässt sich theoretisch prima fahren, doch der Wind macht uns einen Strich durch die Rechnung. Einen Berg kann man überwinden und die Anstrengung wird sogar noch mit einer schönen Aussicht und anschließender Abfahrt belohnt. Gegenwind lässt sich lediglich aushalten und es ist wirklich demotivierend, bei gleichem Aufwand nur die halbe Geschwindigkeit fahren zu können. Ermattet verschnaufen wir am späten Nachmittag nach gerade mal 45 km Tagesleistung. Sofort kommt uns eine Farmerin entgegen, die der Meinung ist, man solle bei so einem Wind lieber ein wenig rasten und sehen, ob der nächste Tag es nicht freundlicher meint. Weniger später haben wir unser eigenes Zimmer in einer Halle für Schafschur und sitzen bei regionalem Wein um den reich gedeckten Tisch zum Tea, denn so nennen die Kiwis eine Mahlzeit. Durch unzählige weitere Begegnungen solcher Art erweisen sich die Neuseeländer als die bisher gastfreundlichsten Menschen auf unserer Reise.
Endlich an der Westküste angekommen, essen wir erst einmal das “Nationalgericht” Fish & Chips und besuchen anschließend eine Robbenkolonie. Unser Weg südwärts führt uns entlang der wunderschön rauen und felsigen Küste vorbei an kaltem Regenwald mit den südlichsten Palmen der Erde und meterhohen Farnbäumen. Radfahrer, die uns entgegen kommen berichten von wochenlangem Sonnenschein, obwohl die sogenannte Wetcoast bekannt für über 7 m (!) Regen im Jahr ist (in unserer Heimatstadt Taunusstein dagegen etwa 0,7 m, was auch schon als regenreich gilt). Natürlich endet die größte Trockenzeit seit vielen Jahren genau mit unserem Eintreffen. Gut für die Natur und die unzähligen Farmen, schlecht für uns. Wir hätten übrigens nicht gedacht, wie viel Farmland es in Neuseeland gibt. Irgendwo müssen die 31,1 Millionen Schafe (gegenüber 4,4 Millionen Menschen) ja auch leben…

Nach mehreren Regentagen sind wir glücklich, in Hokitika, Neuseelands Jadehauptstadt, anzukommen, denn hier erwartet uns bereits ein Neuseeländer, der uns über die Internetplattform Warmshowers („Gastfreundschaft für Fahrradreisende“) zu sich eingeladen hat. Hier bekommen wir eine weitere Touristenattraktion zu sehen: Glowworms, leuchtende Fliegenlarven, die meist an Höhleneingängen andere Insekten oder auch mal Artgenossen an ihren Klebefaden locken. Die Felswand ist für jedermann kostenfrei zugänglich – ganz im Gegensatz zu den überteuerten Touristenangeboten andernorts, wie man sie in Neuseeland zu Hauf zu findet…
In der Behaglichkeit des Hauses unseres neuen Bekannten finden wir Zeit, unsere weitere Route zu überdenken. Schnell wird uns klar, dass die Zeit für die vielen Sehenswürdigkeiten nicht ausreicht. Bisher verschwiegen wir nämlich der Öffentlichkeit die größte Planänderung unserer Reise: In zwei Wochen unterbrechen wir unsere Fahrradweltreise und werden nach über zwei Jahren das erste Mal unsere Familien und Freunde wiedersehen! Einer Einladung des ZDF Fernsehgartens folgend, wird Jan schon bald seine Mutter zum Muttertag vor laufender Kamera in die Arme schließen können.
Nach vielen Überlegungen entscheiden wir uns, aus Zeitgründen auf direktem Weg nach Christchurch, unserem Abflugort, zu fahren, um unsere Räder ausnahmsweise zurück zu lassen und für 11 Tage einen Campervan auszuleihen. Für umgerechnet 10 € pro Tag (dank Nebensaison) werden wir also unsere „eigenen“ vier Wände mit uns führen und damit mehr Luxus denn je auf der Reise genießen.
Im harten Kontrast dazu steht unser Weg dorthin über den 920 m hohen Arthur’s Pass und die Südlichen Alpen. Bei bis zu 18-prozentiger Steigung, Regen, Wind und Kälte wird uns noch einmal einiges abverlangt. Landschaftlich genießen wir, wenn auch mit steif gefrorenen Fingern, jeden Kilometer und bekommen sogar Keas (alpine Papageie) zu sehen, die durch das Anknabbern von Karinas Radtasche ihrem Ruf als fröhliche Zerstörer gerecht werden.

Ungewohnt schnell trägt uns wenige Tage später der Campervan durchs Land. Schlagartig weichen die Nähe und das Interesse, welches uns die Neuseeländer bisher entgegen brachten. Von nun an gelten wir als Standardtouristen und würden in der ungeheuren Menge einfach untergehen. Wie es allerdings der Zufall will, ist unser Campervan künstlerisch „verschönert“. Die auf ihm dargestellte Friedhofsszene samt Zombies und Monstern sorgt regelmäßig für Verwunderung oder gar Bestürzung auf den Gesichtern der Passanten und bringen uns dazu, es „Monstermobil“ zu taufen. „Kleider“ machen eben Leute. Die Meinung der meisten Menschen wird nun einmal von Äußerlichkeiten geleitet - und das weltweit…

Unsere neue Route bringt uns zum Fuße Mount Cooks, dem mit 3.724 m höchsten Berg des Landes. Allein der Weg dorthin stellt sich als atemberaubend heraus. Der starke Gegenwind und Regen interessiert uns ausnahmsweise mal rein gar nicht. Im neuen Eiltempo erreichen wir dann schon wenig später die Otago Halbinsel, wo wir Gelbaugenpinguine, die seltensten Pinguine der Welt, an malerischen Stränden beobachten und aus nächster Nähe kämpfende Seelöwen bewundern können. Die Hauptattraktion für Jan wäre vielleicht das oben erwähnte Royal Albatros Centre gewesen. Wie bereits erwähnt, verstehen sich die Neuseeländer jedoch äußerst gut darauf, Touristen zur Kasse zu bieten. Abzüglich eines Vortrages zahlt man hier 39 NZ Dollar für etwa 20 min. Vogelbeobachtung! Nun ja – vielleicht gerade das ja der beste Schütz für diese seltenen Tiere…
Entlang der herrlich rauen und windgepeitschten Südküste fahren wir dem Fjordland Nationalpark entgegen. Erstaunlich, dass wir nur noch etwa 2.500 km von der Antarktis entfernt sind! Unser nächstes großes Ziel ist der Milford Sound. Da dies der einzige Fjord im Land ist, der über eine Straße zu erreichen ist, herrscht hier täglich größter Andrang, doch schon die 100 km lange Fahrt belohnt uns mit idyllischer Landschaft.

Wie man leicht an unseren Schilderungen erkennen kann, hat Neuseeland während unseres Besuchs Eindruck bei uns hinterlassen! Wo sonst kann man morgens durch dichten Dschungel wandern, mittags ein wenig Ski fahren und abends zum Sonnenuntergang im Meer schwimmen? Es ist sogar das erste Land, in dem wir uns vorstellen könnten, zu leben – wäre es nur nicht soo weit von unserer Heimat oder auch nur seinen Nachbarländern entfernt. So bleiben wir also unserer fernen Heimat treu, der wir uns schlagartig gegenüber sehen, als wir im Flugzeug nach Deutschland Platz nehmen. Unsere Gefühle fahren Achterbahn, während sich einer der spannendsten Momente unserer Reise nähert: das Wiedersehen unseres Zuhauses.

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18. Bericht. Ecuador
(08.03. – 01.04.13/ 22.955 – 23655 km / 181.000 – 190.560 hm)


Die Allee der Vulkane


Ecuador steht für die Galapagosinseln, auf denen die Tiere neugieriger sind, als so mancher Nachbar, für die schneebedeckten Gipfel der Anden, traditionell gekleidete indigene Menschen, die den Lamas verwandten Alpakas, Vulkane und natürlich für den bereits im Namen des Landes zu findenden Äquator.
Tatsächlich läuft nicht nur die Trennlinie zwischen der nördlichen und südlichen Hemisphäre durch Ecuador, es lässt sich sogar als das Zentrum der Welt bezeichnen. Nur hier sind Berge als natürliche Orientierungspunkte für die Äquatoriallinie zu finden, die für die frühere Bestimmung nötig waren. In der Nähe der Hauptstadt Quito ist ein pompöses Bauwerk zu finden, das diese Entdeckung eines Franzosen ehren soll, leider hat er sich jedoch geirrt und demnach suchen viele Besucher den falschen Ort für ihr Touristenfoto auf… Was besagter Franzose Condamine vergebens versucht hat, ist jedoch bereits vor etwa 1.000 Jahren der indigenen Bevölkerung der Präinkazeit mit der Genauigkeit eines GPS-Gerätes gelungen, wie die Entdeckung von Überresten eines Bauwerkes am richtigen Ort bestätigen.
Neben dem Besuch ebendieses und anderer besonderer Orte, die uns immer wieder zeigen, wie lohnend es ist, ein wenig über den „Pauschalreisetellerrand“ hinaus zu sehen, gilt es für uns in Ecuador nach über 23.000 km vor allem Abschied vom amerikanischen Kontinent zu nehmen. Unser Flug nach Neuseeland ist gebucht und uns bleiben gerade mal drei Wochen übrig.


Für den Grenzübergang von Kolumbien wählen wir Tulcán und sind damit an der ersten Sehenswürdigkeit – auch wenn es sich hierbei um einen Friedhof handelt. Seine künstlerisch zugeschnittenen Hecken sind so eindrucksvoll, dass selbst Parkanlagen kaum an Schönheit mithalten können. Im Anschluss entscheiden wir uns zugunsten des Naturparks „El Angel“ für einen steilen, unwegsamen Umweg, der uns bis auf eine Höhe von 3.800 m führt. Recht bald bemerken wir, dass es für die Naturpracht in Ecuador eine einfache Regel gibt: Umso anstrengender es ist, zu dem Ort zu gelangen, desto mehr wird man belohnt. Ab einer Höhe von etwa 3.200 m beginnt der Páramo, eine Vegetationsform des tropischen Hochgebirgslandes. Um seine Wirkung auf uns zu verdeutlichen, könnte man den Namen aber auch mit „Pure Magie“ gleichsetzen! Der weite Blick in jede Richtung gibt uns das Gefühl von Freiheit und einzigartige Pflanzen, wie z.B. Espeletia (hier Frailejon), deren Blätter weich wie Kissen sind, lassen unsere Entdeckerherzen höher schlagen. Mit einer gehörigen Portion an Glück gibt es sogar die Möglichkeit, die seltenen Kondore und Brillenbären zu sehen!
Wir realisieren, wie schön es ist, nach viel zivilisationsnaher Zeit in Kolumbien wieder mitten in der Natur zu sein und trotz niedriger Nachttemperaturen im Zelt zu schlafen, wenn auch die Menschen hier in Ecuador uns ebenso freundlich empfangen, wie die in Kolumbien.

In der Gegend von Otavalo, wo wahrscheinlich der bekannteste Markt im Land zu finden ist, begegnen wir besonders vielen schönen und traditionell gekleideten indigenen Menschen. Die Buntheit der Kleidung schlägt sich auch in den angebotenen Waren nieder. Der reich ausgestattete Kunsthandwerksmarkt bietet Stoffe und weiche Alpaca-Wolle verarbeitet zu Kleidungsstücken, Accessoires und Hängematten, andine Musikinstrumente sowie Spielzeuge und lässt Karinas Herz höher schlagen. Jan hat sich auch nach über einem Jahr Lateinamerika nicht endgültig an die übergreifenden Verkaufsmethoden der Lateinamerikaner gewöhnt.

An unserem nächsten Ziel, dem Casa de Ciclista (dt. Haus der Fahrradfahrer), nahe der Hauptstadt Quito, treffen wir gleich auf mehrere Gleichgesinnte. Unsere Gastgeber beherbergen seit über 20 Jahren Fahrradreisende aus aller Welt und das Fahrradhaus ist inzwischen zu einer „Pilgerstätte“ für Radreisende geworden. Wir entscheiden uns, einen Großteil unserer Ausrüstung für die letzten zwei Wochen bei ihm zurückzulassen und das erste Mal ohne Anhänger weiter zu fahren. Diese Entscheidung bewährt sich unmittelbar im Anschluss, als wir  - auf einer der schlechtesten Straßen (siehe Regel oben J ) erneut bis auf 3.800 m – in die Nähe des zweithöchsten Vulkan des Landes fahren. Belohnt wird der mühselige Anstieg zuerst mit nichts weiter als dichten Wolken, stärkstem Regen und sogar Hagel. Wir entschließen uns, einen unserer wenigen verbleibenden Tagen zu opfern und warten bis zum nächsten Sonnenaufgang. Und da steht er schließlich, völlig frei von Wolken, atemberaubend und direkt vor uns: der aktive Vulkan Cotopaxi mit einer stolzen Höhe von 5.897 m.
Nur wenige Tage später erreichen wir die Touristenstadt Riobamba, die für Wanderer das ist, was weiter nördlich die Stadt Otavalo für Liebhaber des Kunsthandwerks. Während Karina sich dort von einer starken Erkältung erholt, erfüllt sich Jan – zumindest teilweise - einen großen Wunsch und besteigt den Vulkan Chimborazo. Mit 6.267 m ist er der höchste Vulkan des Landes und durch die Nähe zum Äquator der nächste Punkt der gesamten Erde zur Sonne. Bei einer Höhe von 5.100 m muss Jan umkehren, da die Gletscherausrüstung und der nach vielen tödlichen Unfällen gesetzlich vorgeschriebene Guide von der Reisekasse nicht abzuverlangen sind. Das Gipfelerlebnis fehlt also, dafür entschädigen ihn mehrere wilde Alpakaherden auf dem Weg und der erste Schnee in ganz Lateinamerika.

Nahe der peruanischen Grenze bekommen wir in Macas, deutlich tiefer gelegen, ein letztes Mal den Dschungel Südamerikas und Beginn des Amazonasbeckens zu Gesicht. In wenigen Monaten wird dieser Ort, an dem wir bei einer österreichisch-schweizerischen Journalistin zu Gast sind, leicht über eine neue alternative Asphaltstraße durch den Sangay Nationalpark zu erreichen sein. Wir sind jedoch zu früh und müssen alles geben, um auf der matschigsten Straße unseres Lebens bei 15 cm dickem Schlamm nicht in den Abgrund zu rutschen. Am Ziel angekommen, verabschieden wir uns in guter Gesellschaft ausgiebig von den tropischen Früchten und Lateinamerika. Schon wenige Tage später bringt uns ein Bus zurück nach Quito, von wo aus wir Südamerika verlassen, um in Neuseeland, dem am weitesten von Deutschland entfernten Land, wieder auf unsere Räder zu steigen.

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17. Bericht. Kolumbien
(11.12.12 – 08.03.13/ 21.251 – 22.955 km / 152.678 – 181.000 hm)

Wo der Dschungel die Anden küsst



Wir stehen am Pier des Dorfes Capurganá, zu dem keine Straßen führen – in der einen Richtung das Meer, in der Anderen tiefster Dschungel.

Irgendwie hat uns der Fahrer des schwankenden Motorbootes vorbei an meterhohen Wellen und spitzen Klippen von Panama über die Grenze nach Kolumbien gebracht. Dass nicht nur wir ein ums andere Mal daran zweifelten anzukommen, belegten die wiederholten Schreie anderer Passagiere.
Bei einer Dschungelwanderung mit Flussbad und einer ersten Nacht auf festem Boden nach unserem Segeltörn von Panama nach Kolumbien haben wir genug Kraft gesammelt, um erneut auf ein Boot zu steigen, das uns endlich zur ersten Straße Richtung Süden bringen soll. Da unsere Ausrüstung dort keinen sicheren Platz findet, geben wir diese notgedrungen an die Besatzung eines Versorgungskahns ab. Später am Tag würde das Schiff dann im Hafen von Turbo einlaufen.

Dann realisieren wir: Wir haben unsere gesamte Ausrüstung an Wildfremde abgegeben, besitzen keinerlei Beleg und sollen zu einer vagen Zeit an einem vagen Ort sein, um alles, wovon unsere Reise abhängt, zurück zu bekommen… Wir zumindest erreichen die Großstadt, nehmen uns ein Zimmer und die Zeit für einen ersten Spaziergang durch die Straßen. Ein wildes Wuseln von Fahrrädern, „Mototaxis“ (Roller mit Passagierkabine) und Motorrädern in verdreckten Straßen erinnert mehr an Indien, als an Kolumbien. Das Mittagessen in einem Restaurant für Einheimische hingegen ist typisch lateinamerikanisch: Es gibt Reis, Bohnen, Kochbananen und ein frei wählbares Stück Fleisch dazu. Eine Suppe als Vorspeise gab es teilweise auch in den zuvor bereisten Ländern, doch hier wurde echte Meisterschaft erlangt. Sancocho, eine Suppe aus verschiedenen Wurzeln und Rind, am besten über offenem Feuer zubereitet, wird Karinas neue Reiseleibspeise.


Man warnte uns vor Kolumbien. Eigentlich warnen uns die Leute immer vor dem nächsten Land. Diejenigen, die uns warnen sind jedoch meist Menschen, die ihre Informationen aus Nachrichten in Radio oder Fernsehen ziehen, ohne das beurteilte Land jemals mit ihren eigenen Augen gesehen zu haben. Jeder uns begegnete Reisende, der dort war, lobt die freundlichen Menschen. Neugierig und offen, uns eine eigene Meinung zu bilden, fahren wir die ersten Kilometer. Im nächsten Ort halten wir, um ein wenig zu verschnaufen. Ein Obsthändler kommt auf uns zu und drückt uns mit folgenden Worten einige Früchte in die Hände: „Es ist wichtig, als Reisender auch mal etwas geschenkt zu bekommen, außerdem möchte ich euch zeigen, dass nicht jeder Kolumbianer Guerillero (Rebellenkämpfer) oder Drogenschmuggler ist“. Momente wie dieser wiederholen sich in ähnlicher Form wieder und wieder. Noch am gleichen Tag werden wir zum Mittagessen eingeladen, ständig freundlich gegrüßt, ausgefragt etc. Im Laufe der folgenden Wochen entscheiden wir, in Kolumbien die bisher freundlichsten Menschen Lateinamerikas gefunden zu haben!


Immer steilere Straßen mühen wir uns hinauf, bis uns schließlich eine atemberaubende Aussicht unmissverständlich zeigt: wir sind in den Anden angekommen. Für Fahrradreisende heißt das: schwitzen, schwitzen und tausende Höhenmeter sammeln, auf über 2.000 m warm anziehen, vielleicht 10 Minuten den Geschwindigkeitsrausch genießen, schnell alles Warme ausziehen und wieder schwitzen, schwitzen, schwitzen… Gerade diese vielen verschiedenen Klimazonen machen Kolumbien zu dem Land mit der zweitgrößten Vielfalt an Pflanzen und Tieren weltweit und rechtfertigen für uns jede Anstrengung. Wie schon in den Ländern zuvor, essen wir Früchte, von deren Existenz wir vorher nicht einmal wussten.


Unser erstes Ziel ist Medellin, die zweitgrößte Stadt des Landes. In den 80er Jahren war sie gefürchteter Sitz des „größten Mafiabosses der Geschichte“ – Pablo Escobar, der z.B. dem Land anbot, die gesamten Staatsschulden des Landes auf einen Schlag aus eigener Tasche zu zahlen, sofern man ihn zum Präsidenten mache. Widersacher ließ er kurzerhand beseitigen… Heute ist Medellin eine moderne Stadt voller Kunstwerke, die einen Besuch wert ist. Im „Casa de Ciclista“ (Haaus der Fahrradfahrer) etwas außerhalb der Stadt dürfen wir inmitten einer kolumbianischen Familie wohnen und aus erster Hand mehr über das Land erfahren. Neben der Gastfreundschaft lernen wir auch ein dunkles Kapitel vieler Landsleute kennen. Ganz im Gegensatz zu der uns bekannten Welt ist hier die Nähe zum Tod allgegenwärtig. Drogenkartelle, die Guerillabewegung FARC-EP (Fuerza Armadas Revolucionarias de Colombia – Ejércio del Pueblo: Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens) und weitere Verbrechen belasten die Bevölkerung. Fast jeder kennt Opfer von Gewaltverbrechen oder hat Familienmitglieder verloren. Der frühere Präsident Alvaro Uribe sagte den Guerillakämpfern nach gescheiterten Friedensverhandlungen seines Vorgängers der FARC den Kampf an, was unzählige Opfer forderte. Um den Erfolg zu beschleunigen hatte er eine fatale Idee: Er versprach den Soldaten des Militärs eine Prämie für jeden getöteten Anhänger der FARC. Anstatt sich in Gefahr zu begeben, töteten viele Soldaten unschuldige Bürger und zogen den Leichen die Uniformen der FARC an. Auf diese Weise und durch weitere außergerichtliche Hinrichtungen starben zwischen 2001 und 2010 offiziellen Zahlen zufolge mindesten 887 Menschen, darunter der Vater unserer Gastgeberin. Zutiefst beeindruckend empfinden wir die Lebensfreude, die trotz dieser schweren Vergangenheit in so vielen Augen am Wegesrand strahlt und die positive Entwicklung des Landes in den letzten Jahren. Unsicher fühlten wir uns nicht ein einziges Mal.


Auf unserem weiteren Weg nach Süden kommen wir vorbei an der sehr sehenswerten Tatacoa-Wüste, wo wir durch unwirkliche, orangerote Hügellandschaft fahren, die uns sehr an Utah in den USA erinnert. Ein starker Kontrast zur Umgebung und auch für Einheimische eine Attraktion. Wie für viele Touristen ist auch für uns die Stadt und berühmteste Ausgrabungsstätte Kolumbiens, San Agustin, ein weiterer Anziehungspunkt. Vor Ort ergibt sich die Möglichkeit, unsere Räder für einige Zeit stehen zu lassen und auf Pferden durch die Berge der Anden zu reiten. Ein Traum Karinas erfüllt sich! Zeitgleich nähert sich das Land dem Ausnahmezustand. Die Kaffeebauern des gesamten Landes haben sich zusammen getan, um zu protestieren! Während der weltweite Kaffeekonsum steigt, erhalten sie weniger Geld und Unterstützung vom Staat. Wir, zurück auf unseren Rädern, stoßen bereits nach wenigen Kilometern auf hunderte, mit Stöcken bewaffnete Männer, die die Straße mit Nagelbrettern und Bäumen versperrt halten. Angenehm ist jetzt ungefähr das letzte unserer Gefühle. Wir kommen uns ausgeliefert vor und warten mit dem Herz in der Hose ab, was passiert. Beim Näherkommen sind wir verblüfft, freundlich empfangen zu werden, viele Männer feuern uns an oder wünschen uns alles Gute. Kein Auto darf passieren, doch wir als Radfahrer bekommen grünes Licht. Ein ums andere Mal kommen wir an Straßensperrungen vorbei und werden ausnahmslos freundlich behandelt. Schließlich gelangen wir zu einem der Hauptcamps, wo über 2.000 Kaffeebauern lagern. Unterwegs erfahren wir, dass es dort für uns wohl endgültig kein Weiterkommen gibt. Das nötige Wunder begegnet uns in Form eines Nachrichtenreporters des Nationalsenders. Dieser verspricht, ein gutes Wort für uns einzulegen und tatsächlich dürfen wir nach einigen Verhandlungen durch das riesige Lager hindurch. Ein wenig fühlt es sich so wohl in einem Löwenkäfig an – verliert nur einer die Nerven sind wir chancenlos...
In den Nachrichten erfahren wir, dass tatsächlich der gesamte Verkehr im Land lahm gelegt wurde. Wenige Tage später gibt es an keiner Tankstelle mehr Benzin und sogar frische Lebensmittel werden vielerorts knapp. Unsere Räder sind während dieser zwei Wochen des “Paro” (Halt, Stillstand) unsere Rettung!

Weiter im Süden, in der Stadt Mocoa, “wo die Anden den Amazonas küssen”, treffen wir wieder auf den Dschungel und wandern vorbei an der Hütte eines Schamanen, der traditionelle Medizin anbietet, zum “Ende der Welt”. Ein klarer, durch den Dschungel geschlungener Fluss lädt zum Baden ein, bis er schließlich lautlos in die Tiefe stürzt – dem “Fin del Mundo”. Das sprichwörtliche i-Tüpfelchen fügt ein seltener orangeroter Andenklippenvogel dem Moment an diesem magischen Ort hinzu.


Bevor wir das Land verlassen und weiter nach Ecuador fahren, denken wir ein weiteres Mal daran, welch großer Unterschied oft zwischen dem internationalen Ruf eines Landes und dem tatsächlichen Wesen seiner Bevölkerung herrscht. Wie schön, die Welt mit eigenen Augen zu entdecken!


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16. Bericht. Panama

(28.10.12 – 11.12.12/ 20.479 -  21.251 km / 145.070 -  152.678 hm)

Oh, wie schön ist Panama


Eine wohlbekannte Geschichte erzählt vom Tiger und dem kleinen Bär, die sich aufmachen, um Panama zu finden, nachdem sie eine wohlriechende Bananenkiste im Fluss gefunden haben. Niemand, der ihnen begegnet, kennt den Weg, darum laufen sie im Endeffekt im Kreis und erreichen nach langer Zeit wieder ihr altes Zuhause, was jedoch schon von Pflanzen überwuchert ist und dadurch ganz besonders aussieht. Im Glauben, endlich in Panama zu sein, ziehen sie glücklich in ihr neues/altes Heim ein.

Der Autor Janosch, bekannt dafür, gerne Botschaften in seine Geschichten einzubauen, zeigt auf, dass das eigene Zuhause oft erst aus der Ferne betrachtet seinen wahren Wert offenbart. Wir haben es zwar tatsächlich bis nach Panama geschafft, ansonsten finden wir in unserer Geschichte aber die selbe Botschaft.
In unmittelbarer Nähe zur Karibik reisen wir mit unseren Fahrrädern über eine Brücke nach Panama ein. Konzentration ist gefordert, denn auf praktisch jedem Meter der Holzbrücke klaffen Lücken und Löcher, die einen nur all zu gern an den darunter liegenden, braunen Fluss übergeben würden. Auf dieses Hindernis folgt gleich das Nächste: aufgrund eines Systemabsturzes der Computer ist vorerst die Einreise nicht möglich und wir müssen uns in Geduld üben. Dank dem ein oder anderen Schwätzchen und dem zufälligen Treffen auf Bekannte aus Costa Rica, verstreicht die Zeit jedoch recht angenehm. Zehn Minuten vor Grenzschluss - wir fangen schon an zu überlegen, wo wir Zelten können - wird dann kurzerhand entschieden, ohne Umstände und Computer einfach jedem einen Stempel in den Pass zu setzen. Also doch noch heute im neuen Land! Auf der Straße in der Provinz Bocas del Toro bildet die indigene Bevölkerung erstmals auf unserer Reise die Mehrheit auf der Straße. Im Gegensatz zu unseren bisherigen Erfahrungen mit indigener Bevölkerung empfangen uns die Menschen hier deutlich offener und freundlicher, bringen uns freudig Worte in ihrer Sprache bei oder rennen lachend und grüßend neben den Fahrrädern her. Die bisher für die Karibik typische schwarze Bevölkerung ist hier kaum zu finden.

Beim immer wieder spannenden ersten Einkauf in einem neuen Land merken wir schnell, dass die Preise, die wir von Costa Rica kannten, hier tatsächlich halbiert sind. Nach einer wirklich langen Zeit gönnen wir uns endlich mal wieder einen Wein - zu deutschen Preisen. Unsere Abendessen passen wir den typischen Lebensmitteln an und kochen mit wachsender Begeisterung aus den vielen verschiedenen Wurzeln (z.B. Ñame, Ñampi, Yuca), Kochbananen, Linsen und Bohnen schmackhafte Eintöpfe.
Bereits nach einem Tag verlassen wir das Festland wieder und reisen zum beliebtesten Urlaubsziel der Einheimischen, der ebenfalls Bocas del Toro genannten Karibischen Inselgruppe. Obwohl es bereits dunkel geworden ist, finden wir noch ein kleines Motorboot, dass uns recht unkompliziert mitsamt Fahrrädern mitnimmt. Ein bisschen nervös macht uns ja schon, dass alle Passagiere Schwimmwesten tragen müssen. Mit ordentlich Tempo startet unsere Fahrt in der geschützten Bucht. Auf der ruhigen See scheinen die Schwimmwesten nur reine Vorschrift zu sein, doch dann erreichen wir das offene Meer. Schwankend rasen wir durch die Nacht. WIR können gut schwimmen, aber unsere Räder?!

Unbeschadet auf der Insel Colón angekommen finden wir eine nett und farbenfroh hergerichtete Stadt. Almirante, die Stadt von der wir mit dem Boot kommen, sah im Gegensatz dazu eher zugrunde gerichtet als hergerichtet aus. Überall fanden wir Gestank und jegliches Abwasser lief, kleine Flüsse bildend, durch die Gärten. Wie nah in manchen Ländern doch Arm neben Reich lebt...

Der Nationaltag des Landes nähert sich und so bekommen wir gerade noch ein Zimmer neben vielen Einheimischen, die gekommen sind, um hier am 3. November die Unabhängigkeit von Kolumbien zu feiern. Wir sind eigentlich zum Schnorcheln gekommen, erfahren jedoch, dass die Sicht unter Wasser aufgrund der vielen ins Meer laufenden Flüsse selten 2-3 Meter übersteigt. Wir wollen es wenigstens auf einen Versuch ankommen lassen und fahren mit unseren Rädern 18 km zum vielgelobten „Starfish Beach“. Mit unzähligen Dienstleistungsangeboten sind die Inselbewohner Vorzeigebeispiele dafür, wie man den Touristen möglichst viel Geld aus der Tasche ziehen kann und so wird uns kurz vorher gesagt, dass es keinen Weg gäbe und wir lediglich mit einem Schiff an unser Ziel kommen würden. Einem wunderbaren Pfad auf weißem, mit Palmen bestandenen Strand folgend, bestätigt sich unsere Annahme, dass es sich nur um eine Touristenfalle handelt und man auch so ohne weiteres sein Ziel erreichen kann.
Tatsächlich sehen wir haufenweise Seesterne, die jedoch alle gleich aussehen. Gepaart mit der miserablen Sicht, die wir auch an anderen Stränden finden, können wir Bocas del Toro wirklich keinem Schnorchler empfehlen. Um so beeindruckender sind jedoch die Bilderbuchstrände und der Dschungel, welcher mit riesigen, lianenbehangenen Bäumen, Affen, Papageien und gleich mehreren Faultieren den Rückweg zu einem Erlebnis macht.

Am Nationaltag selbst findet eine bunte Parade, vor allem von Schulklassen veranstaltet, statt. In Erinnerung bleiben wird uns jedoch mehr, dass an diesem Tag Jans Portemonnaie inklusive Bargeld, Bankkarten, Führerschein, etc. in den Besitz eines Taschendiebes übergeht. Manche sagen uns, dass so etwas bei solch einer Reise mal passieren müsse und weit Schlimmeres passieren könnte, Andere, dass es eben eine weitere Erfahrung ist. Jan lernt jedoch hauptsächlich, welchen Aufwand es bedeutet, eine neue Bankkarte zu bekommen und dass definitiv nicht jede Post auf der Welt so zuverlässig ist, wie die Deutsche. Durch eine Reisepartnerin und die unerlässliche Unterstützung der Familie aus der Heimat ist jedoch auch solch ein Kapitel gut zu überstehen. Und in der Tat erhalten wir dank der unzähligen freundlichen und hilfsbereiten Menschen auf unserem Weg für eine schlechte Erfahrung mindestens hundert Positive. Spätestens nachdem wir auf der Straße einen Mexikaner treffen, der ebenfalls mit dem Fahrrad reist, müssen wir unsere Reise als gesegnet betrachten. Er ist gerade mal vor sechs Monaten in Mexiko gestartet und wurde bereits drei Mal ausgeraubt - sogar seinen Pass nahm man ihm gewalttätig ab, wodurch dieser freundliche Mensch nach den Gesetzen seines Landes gezwungen wurde, seine Reise nach Argentinien abzubrechen und nach Hause zu fliegen. Auf seinem Fahrradanhänger steht „Kilometer für den Frieden“...
Mit dem Wechsel zur nahen Insel Bastimentos lassen wir nahezu jegliche touristischen Angebote hinter uns. Das Leben läuft hier ruhiger, langsamer und wir haben den Urwald direkt neben dem Zimmer. Jan spielt mit Eifer Robinson Crusoe und versorgt uns mit Kokosnüssen, bei einer Tageswanderung zu völlig verlassenen Traumstränden sparen wir uns sogar komplett den Verpflegungsrucksack und trinken bzw. essen nichts anderes. Der Weg dorthin ist immer mal wieder von einem maskierten Mann mit Machete besetzt, der Touristen freundlich ein wenig „beim Tragen der Wertgegenstände“ hilft. Glücklicherweise vorgewarnt, lassen wir unsere Wertgegenstände im Hostal und bieten somit keinen Angriffspunkt. Nach der Überwindung schlammigster Wege - Bocas del Toro gehört zu den regenreichsten Gebieten der Erde - begegnen wir immer häufiger Pfeilgiftfröschen in den verschiedensten Farben, nach denen hier sogar ein Strand benannt ist.
Viel Anstrengung bringt uns von der Karibikküste über die längste Bergkette der Welt, die Cordillera de Talamanca, auf die Pazifische Seite Panamas. Ein völlig verändertes Klima, dichtester Nebelwald und nicht enden wollender Regen umgeben uns. In dieser Region gibt es einen der schönsten Vögel der Welt - den Quetzal, der den Azteken heilig war. Karina glaubt an die Manifestation von Wünschen und sieht wenig später tatsächlich den überaus seltenen Vogel, der ihr für Tage ein Grinsen ins Gesicht zaubert.
Ein längeres Stück auf der Panamericana führt uns immer näher an die kosmopolitischste Stadt Zentralamerikas: Panama Stadt. Über den Panama Kanal, die größte Einnahmequelle des Landes, erreichen wir die Metropole mit ihrer beeindruckenden Skyline und allein acht der zehn höchsten Gebäude Lateinamerikas. Was für ein Gegensatz, wenn wir daran zurück denken, dass wir gerade in Panama so viele einfache Holzhäuser, wie nie zuvor passiert haben.
Dem Kanal folgend, radeln wir wieder zurück zur Karibik, um nach Portobelo zu gelangen, dem Hafen, den bereits Kolumbus bei seiner vierten Reise benutzte. Dort steigen wir auf ein Segelboot um, mit dem wir den nahezu undurchdringlichen und von Guerrillas besetzten Dariendschungel, allgemein bekannt als „Dariengap“, in Richtung Kolumbien umsegeln. Auf diese Weise bekommen wir die Chance, zu sehen, was immer wieder als eines der letzten unberührten Paradiese beschrieben wird: die San Blas Inseln. Nur wenige der 365 Inseln, die von den indigenen Stämmen der Kunas bewohnt werden, sind touristisch erschlossen.
Das Cayo Holandes dient uns als erster Ankerplatz zur Erkundung der Natur. Wir schnorcheln nun, doch noch in kristallklarem, fischreichen Wasser. Durch intakte Korallen rundum sind wir vollkommen vor der rauen See geschützt. Jan erbeutet, immer darauf bedacht, keine seltenen Meeresbewohner zu jagen, reichlich Fisch mit einem Speer, den wir im Anschluss auf einer Insel, die nicht größer ist, als einige Fußballfelder, grillen. Anschließend sind wir uns jedoch einig, in Zukunft lieber das Leben unter Wasser zu bestaunen und nicht zu töten. Wie zum Dank für diese Entscheidung präsentiert sich uns am nächsten Morgen ein ungefährlicher, doch immer noch Respekt einflößender bronzefarbener Riffhai.
Unser nächster Stopp gilt den Bewohnern und der Kultur der Indigenen Bevölkerung. Ankernd vor der Tigerinsel wandern wir interessiert zwischen den mit Palmblättern gedeckten Hütten umher und nehmen Kontakt zu den Kunas auf. Wir werden überaus freundlich begrüßt und an fast jeder Hütte von lächelnden Gesichtern begleitet. Wo wir auftauchen, entsteht geschäftige Betriebsamkeit und im Nu werden dutzende Waren Feil geboten. Auch an anderer Stelle bemerken wir, dass der Tourismus hier bereits Einzug gehalten hat, als man von uns eine Besuchergebühr verlangt. Überhaupt nicht touristisch gestaltet sich der Abend, denn heute wird der „Tag der Mutter“ gefeiert (eigentlich war dieser bereits für den Vortag geplant, doch da waren zu viele Männer betrunken...). Inmitten hunderter Kunas, die Frauen in wunderschönen Trachten, warten wir gespannt auf traditionelle Riten, Tänze o.ä. Was wir zu sehen bekommen, erscheint uns jedoch eher wie eine mit schlechter Technik imitierte, westliche Schulfeier - Zu schade, dass selbst an einem so abgelegenen Ort Traditionen unter modernem Einfluss leiden.
Auf unserer letzten Segeletappe zum grenznahen Hafendorf Puerto Obaldia fahren wir nachts unter sternenklarem Himmel dank Leuchtalgen mit einem meterlangen „magischem Antrieb“, der aus einem Fantasiefilm stammen könnte. Gleich nach Sonnenaufgang werden wir von einer Lederrückenschildkröte beobachtet und später von einer sichtlich vergnügten Gruppe Delfine begleitet. Im Hafen steigen wir in ein kleines Motorboot um, das uns die letzten Kilometer bis nach Kolumbien bringen soll. Bei äußerst rauem Seegang preschen wir über die Wellen, welche uns und die Ausrüstung regelmäßig in die Luft fliegen lassen. Wir sehen die Brandung an der wilden Felsenküste aufschlagen und im Geiste schon unsere Ausrüstung untergehen (warum hatten wir gleich auf der stillen See bei Bocas del Toro Angst darum?). Wieder an Land - jedoch noch fast zwei Tage mit gestörtem Gleichgewichtssinn - ziehen wir unser Fazit  aus unseren Erfahrungen zur See: permanente leichte bis schwerere Seekrankheit und Temperaturen von 32-38 C° unter Deck wirkten paralylierend und beraubten uns unseres Antriebs. Viele einzigartige Erfahrungen wollen wir dennoch nicht missen. Vor allem Karina würde am liebsten die Erde küssen, so sehr freut sie sich, wieder festen Boden unter den Füßen zu spüren. Damit einher geht die große Vorfreude, schon in wenigen Tagen Südamerika mit unseren Rädern zu erobern!

 

 

 

 

 

 

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15. Bericht. Costa Rica
(06. - 28.10.12/ 19.965 - 20.477 km / 141.563
- 145.070 hm)

Mit Tukanen auf Tuchfühlung
 

Von Nicaragua aus fahren wir über die Panamericana in das wohl meistbesuchte Land Zentralamerikas ein. Das Land, welches noch in den 70er Jahren durch den Mangel an reichen Bodenschätzen uninteressant und arm war, setzte auf Tourismus, Infrastruktur und Naturschutz. Heute haben die „Ticos“, wie sie sich selber nennen, die gleiche Lebenserwartung wie in den USA, in weiten Teilen des Landes Trinkwasser aus dem Hahn und erlangten einen deutlichen Zuwachs an Wohlstand. Schon bevor wir das Land betreten, werden wir häufig von Touristen vor den Folgen dieser Entwicklung gewarnt: die Preise seien außerordentlich hoch, Touristen allgegenwärtig und der Durchschnitts-Costa Ricaner oberflächlich bis unfreundlich. Nach mehreren Wochen in Costa Rica fragen wir uns, ob wir uns im Land vertan haben. Wir begegnen den bisher freundlichsten und interessiertesten Menschen Zentralamerikas, kaum jedoch Touristen! Die Preise sind tatsächlich höher, als in allen Nachbarländern, spürbar jedoch nur in touristenbezogenen Dienstleistungen (z.b. Transport) und Waren (z.B. Sonnencreme und Mückenspray). Radfahren ist hier übrigens nicht mehr nur eine Fortbewegungs-, Transport- oder Verkaufsmoeglichkeit, sondern wieder Sport. Auf der Strasse treffen wir zunehmend wieder gut ausgestattete Radfahrer und sind erstaunt zu hören, dass es wohl jede Woche mindestens ein Radrennen im Land gibt.

Unsere erste Idee ist, das Land aufgrund der erhöhten Kosten schnell zu durchqueren. Mit dieser Idee kommen wir gerade mal 10 Kilometer weit, dann stoppt neben uns ein Schweizer mit seinem Auto und lädt uns auf seine Finca im Verwaltungsgebiet Guanacaste ein. Wir willigen nur für einen Kaffee ein, denn es ist früh am Morgen und wir haben noch viel vor. Bereits nach wenigen hundert Metern abseits der Hauptstraβe nimmt uns die reichhaltige Natur gefangen. Selbst beim Fahrradfahren sehen wir leuchtend grüne Basilisken, Spinnenaffen und bunte Vögel – gut, wir werfen also unsere heutigen Pläne über Bord und bleiben, um den Urwald zu erkunden. Wir wandern durch so noch nie zuvor gesehenden intakten und schönen Dschungel mit den für den Regenwald typischen Brettwurzelbäumen, was jedoch auch an unserer bisherigen Route liegt. Immerhin besuchten wir in Honduras nicht den gröβten intakten Dschungel nördlich des Amazonas. Gemeinsam mit den ortserfahrenen Schweizern überdenken wir unsere Route durch Costa Rica also besser nochmal und ändern sie von Grund auf.
Nach Erzählungen über wilde Karibikstrände mit schwarzem Sand und Urwald, der bis zum Strand reicht, bekommen wir Sehnsucht nach dem Karibischen Meer und entscheiden uns, quer durch das Land bis nach Limón und von dort aus entlang der Küste nach Panama zu fahren.
Abseits der Panamericana fühlen wir uns wie in einem Zoo. Jeder zweite Kilometer wird mit Begegnungen tropischer Tiere wie Faultieren, Nasenbären und Leguanen belohnt. Jan begegnet nun auch endlich seinem ersten Tukan, dann seinem Zweiten, dem Dritten usw... Einige dieser exotischen Tiere nähern sich uns sogar dermaβen, dass wir sie fast aus der Hand füttern können.


Das Gebiet im Norden des Landes ist spärlich besiedelt und stellt einen der ärmsten Teile des Landes dar. Bretter- und Wellblechunterkünfte häufen sich und selbst die Hauptverkehrsstraβe verwandelt sich für ein längeres Stück in schlimmste Schotterpiste. Mit einer Warnung vor häufigen Überfällen auf dieser Strecke im Gepäck und der Sicherheit, aufgrund der schlechten Straβe nicht mehr vor Einbruch der Dunkelheit in einer besseren Gegend an zu kommen, bitten wir einen Lieferwagenfahrer in ströhmendem Regen, uns mitzunehmen. Dieser willigt sofort ein und wir hieven dankbar und völlig durchnäst unsere schweren Räder auf die Ladefläche. Er gibt sich alle Mühe vorsichtig zu fahren, kann jedoch nicht vermeiden, dass wir, unsere komplette Ausrüstung und die restliche Ladung immer wieder bis zu einem halben Meter in die Luft springen. Wieder auf einer besser befahrbaren Straβe angekommen, entladen wir mit taubgefrorenen Fingern unsere Ausrüstung und untersuchen unsere Fahrräder. Jans Rad hat die Fahrt glimpflich mit einem gröβeren Lackschaden überstanden, bei Karinas Rad ist der Bremszug der Öldruckbremsen abgerissen – es ist also mal wieder Zeit für eine Zwangspause mit Reparaturarbeiten. Befänden wir uns nicht gerade inmitten der Regenzeit des Landes, wäre es vielleicht bei einem Pausentag geblieben. In unserem Fall hält uns jedoch nach unzähligen Regentagen gleich zweimal eine Erkältung auf – selbst im warmen Mittelamerika ist man also nicht vor der jährlichen Erkältung geschützt. In Ermangelung der eigenen Familie, werden wir ganz spontan Mitglieder einer Tico-Familie, die uns mit viel Herzenswärme und gutem Essen gesund pflegt.
Alle bisherigen Zwischenfälle, die zwangsläufig mit dem groβen Vorhaben einer Weltreise einhergehen, können uns jedoch nicht davon abhalten, in Costa Rica 20.000 Kilometer zu erreichen. Damit haben wir zumindest rein rechnerisch die Hälfte der Welt umfahren.
Mit dem Erreichen der Hafenstadt Limón, bewegen wir uns wieder auf Meereshöhe und spürbar höheren Temperaturen. Nach vielen Bergen begrüβen wir eine völlig ebene Straβe direkt am Meer, die von Palmen geradezu überwuchert ist. Selbst Jan gibt für diese Strecke seinen Drang auf, immer schnell voran zu kommen und öffnet fröhlich Kokosnüsse, bis beide Bäuche so voll sind, dass wir kaum noch Fahrradfahren können.
Kurz vor dem Verlassen des Landes wird uns im Rahmen der alltäglichen Schlafplatzsuche ganz zufällig die seltene Möglichkeit zuteil, Einblick in das alltägliche Leben eines bekannten Schriftstellers zu bekommen. Ohne zu ahnen, beim wem wir an die Tür klopfen, bitten wir um einen Zeltplatz im groβen Garten und erscheinen wohl interessant genug, um ein Zimmer und eine Einladung für mehrere Tage zu erhalten. So lauschen wir bei den gemeinsamen Abendessen Geschichten aus dem langen, erfüllten Leben des Autors, während er tagsüber an seiner Biografie arbeitet.
Schon lange haben wir uns nicht mehr so traurig gefühlt, ein Land zu verlassen. Ein letzter Umweg bringt uns jedoch ein passendes Abschiedgeschenk: das strandnahe Naturschutzgebiet Manzanillo ist geradezu vollgestopft mit Affen, Halsbandarassaris (kleine Vertreter der Tukanfamilie) und farbenfrohe goldene Seidenspinnen mit Netzen von bis zu zwei Metern Durchmesser. An wunderschönen Stränden laben wir uns an der unermesslichen Menge an Kokosnüssen und genieβen das nur 20 Meter von der Küste entfernte Korallenriff. „Pura Vida“ würde man hier wohl dazu sagen!

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14. Bericht. Nicaragua
(19.09. - 06.10.12/ 19.440 km - 19.965/ 137.872 - 141.563 hm)


Staunend vor dem Höllentor

Vorbei an Hängen voll Kaffee- und Bananenpflanzen rollen wir über das Hochland bei „Los Manos“ nach Nicaragua ein. Das am wenigsten bevölkerte Land Zentralamerikas begrüßt uns mit weiten, grünen Hängen. Über Ocotal, die erste jemals aus der Luft angegriffene Stadt der Welt (durch die USA in den zwanziger Jahren) reisen wir weiter nach Estelí, einer Stadt, in der es in jeder zweiten Ecke nach Tabak riecht und angeblich Zigarren von Weltklasse gerollt werden. Zwischenzeitlich gelangen wir auf die vielleicht berühmteste Straße der Welt, die Panamericana, die mit nur einer Unterbrechung (Tapón del Darién zwischen Panama und Kolumbien) von Alaska bis Argentinien verläuft.

Auch wenn Nicaragua das größte Land Mittelamerikas ist, hat es etwa nur die Hälfte der Fläche Deutschlands und lässt sich schnell durchqueren. Da wir jedoch trotz der geringen Größe der zentralamerikanischen Länder ein Gefühl für die einzelnen Länder bekommen möchten, entwickelt sich unser Fahrradalltag zunehmend zu einem „Dauertouristendasein“ und wir verzeichnen erstmals mehr Pausen- als Radeltage. Die so gewonnene Zeit bleiben wir jedoch keineswegs untätig! Von Masaya, der Stadt mit den angeblich besten Souvenirs Zentralamerikas, fahren wir mit den Fahrrädern ein Ziel an, das uns noch vor kurzem genauso unvorstellbar schien, wie es sich für die Leser anhören mag: wir radeln bei 18 % Steigung bis zur Kraterkante eines aktiven Vulkans, der erst vor wenigen Monaten ausgebrochen ist! Es gibt wohl nicht viele Länder, die eine Asphaltstraße auf die Spitze eines Vulkans bauen - in Nicaragua wird der Sicherheitsbegriff nicht ganz so eng genommen. Die Broschüre, die man beim Eintritt erhält, weist darauf hin, dass sich der Besuch als Abenteuertourismus verstehen lässt und man aufgrund giftiger Dämpfe und eines jederzeit möglichen Ausbruchs seinen Besuch möglichst auf 20 Minuten beschränken soll. Ach ja und sollte es zu einem Ausbruch kommen, sei es das Beste, unter seinem Auto Schutz zu suchen. Gilt das auch für Fahrräder??
Beeindruckend ist der Blick in den etwa 635 m hohen Santiago-Krater durchaus. Spanische Eroberer waren sich sicher, das Tor zur Hölle gefunden zu haben und errichteten ein Kreuz, dass noch heute zu sehen ist. Wenn dieser Vulkan auch nicht mehr ganz naturbelassen ist, so ist er vielleicht zumindest der am leichtesten Zugängliche der Welt.
Eine ganz andere Anforderung birgt der ebenfalls aktive Vulkan La Conceptión auf der Insel Ometepe im Nicaragua See, den wir nur wenig später besteigen. Mit 1610 m ist er der Zweithöchste des Landes und mit seiner nahezu perfekten Zylinderform für viele der Schönste des ganzen Kontinents. Extrem steil und mit vereinzelten Kletterpartien wandern wir in Richtung Gipfel. Durch den schnellen Zuwachs an Höhe wandern wir in nur wenigen Stunden durch mehrere Klimazonen. Im feuchten Nebelwald schauen uns interessiert Kapuzineraffen zu, nur wenig später ist der höchste Baum gerade mal drei Meter hoch und wieder nur kurze Zeit darauf lassen wir die Baumgrenze hinter uns und sind umgeben von mannshohem Bärenklau. Erst wenige Meter vor dem Krater schafft es keine Pflanze mehr zu leben. Rauch steigt zwischen den Steinen hervor und einige Stellen sind vom Schwefel gelb gefärbt. Dann ist es so weit: ohne Absperrung, Sicherheitsbroschüre oder Guide stehen wir an der rauchenden Öffnung weit über allem, das uns umgibt. Die Natur meint es gut mit uns und wie auf ein Kommando bläst ein Wind den Rauch beiseite und lässt uns 100 Meter in den aktiven Krater schauen! Spätestens jetzt realisieren wir, wo wir gerade sind…
Der darauf folgende lange und beschwerliche Abstieg gibt uns die Zeit, unsere Erlebnisse zu verarbeiten - Zeit dazu hätten wir aber wohl auch bei der anschließenden mehrtägigen Zwangspause gehabt, die wir aufgrund des enormen Muskelkaters einlegen mussten. Fahrrad fahren ist eben nicht laufen…
Auf den Straßen des Landes sehen wir so wenig private Pkw wie noch nie auf der Reise, dafür umso mehr Fahrräder, Fahrräder mit integrierten Verkaufsständen, Fahrradtaxis und Pferde. Auch die vielen nur notdürftig gebauten Häuser bestätigen uns, dass Nicaragua das ärmste Land Zentralamerikas ist. An die auch hier nicht stoppenden „Gringo-Rufe“ und den vielen Müll neben der Straße sind wir zu unserem Bedauern immer mehr gewöhnt.
Unser letzter Umweg in Nicaragua führt uns über die seit Monaten schlechteste Straße zur Pazifikküste und dem versteckten Surfer-Paradies „Playa Pie de Gigante“. Nach unserer Ankunft lesen wir in einer Broschüre: „Wer es nach Playa Gigante schafft, der verdient es auch, dort zu sein“ - wie passend, vor allem für Fahrradreisende… Vor Ort gehen weite Strände nahezu nahtlos in von Brüllaffen bevölkerten Dschungel über. Die Umgebung und eine Einladung eines Amerikaners in sein Hotel sind verantwortlich dafür, dass wir unsere Weiterreise gleich um mehrere Tage verschieben und so unsere letzten Tage in Nicaragua genießen können. Von dort schaffen wir es gerade noch vor Sonnenuntergang an die Grenze von Costa Rica. Nach Ein- und Ausreisegebühren in Nicaragua sind wir überrascht, problemlos und ohne Kosten einreisen zu dürfen. Wir sind gespannt, wie das Land, welches sich angeblich so sehr von den anderen Zentralamerikanischen Ländern unterscheiden soll, auf uns wirken wird.

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13. Bericht. Honduras
(17.08. - 19.09.12/ 18.580 - 19.440 km/ 130.391 - 137.872 hm)

Porsche und Piraten

 

Es ist diesmal nicht der Blick von unseren Reiserädern, mit dem wir in ein weiteres Land auf unserer Weltumrundung einfahren, sondern der von Bord eines kleinen Schnellbootes am Hafen von Puerto Cortés. Nicht unpassend auf diese Art in Honduras einzureisen, immerhin handelt es sich um den wichtigsten Hafen Zentralamerikas. Viel mehr bekommen wir auch gar nicht zu sehen, denn dank der falschen Wahl des Restaurants bleibt uns keine andere Wahl, als das nächst beste Hotel für eine Woche zur Krankenstation zu erklären. Auf diese Weise gebremst, lernen wir in Honduras zuerst das städtische Leben kennen. Der erste Eindruck erinnert stark zurück an Mexiko. Neu für uns ist die hohe Anzahl an mit Pump Gun bewaffneten Securitys an fast jeder Ecke.

Die Vielfalt der angebotenen Lebensmittel verblüfft uns. Seit Monaten finden wir nicht mehr eine so breite Auswahl und nie zuvor so günstige Preise. Ein simples Ersatzteil für eines der Fahrräder suchen wir jedoch wochenlang und geben schließlich auf. Das erste Mal sind wir gezwungen, die hierzulande weit verbreitete „Irgendwie-Lösung“ einer Fachgerechten vorzuziehen.

Über äußerst verdreckte Straßen fahren wir aus der Stadt, bald umgeben uns jedoch Hügel mit allen nur erdenklichen Grün-Tönen und eine Fülle an riesigen Bäumen, die uns daran erinnern, dass wir Honduras, das Land mit dem zweitgrößten Regenwald des Kontinentes bereisen. Unser erstes Ziel ist die für das Tauchen berühmte Karibikinsel Utila. Als uns schon nach wenigen Kilometern eindringlich vom direkten, aber wenig befahrenen Weg abgeraten wird, bekommen wir einen ersten Eindruck der allgegenwärtigen Angst vor Kriminalität im Land. Wir nehmen die Warnung nach unseren Erfahrungen in Belize ernst und bleiben auf den Hauptstraßen. Somit liegt die Stadt San Pedro Sula auf unserer Route. Uns kommt unterwegs immer wieder der schlechte Ruf des Ortes zu Ohren, den wir schließlich bei Dämmerung erreichen, da Karina immer noch von ihrer ausklingenden Krankheit mitgenommen ist. Wochen später erfahren wir aus diversen Internetquellen, dass genau diese Stadt, in der Jan gemütlich nach Sonnenuntergang völlig normal auf dem Straßenmarkt einkaufen war, die höchste Mordrate der Welt haben soll. Mit einem unvorbelasteten Blick ist eben jede Stadt erst einmal nur eine Stadt mit normalen Menschen, die normale Dinge tun. Wer hat schon Angst um sein Leben, wenn er durch Frankfurt am Main schlendert? Trotzdem handelt es sich statistisch gesehen um die gefährlichste Stadt Deutschlands. Manchmal fühlt es sich eben besser an, nicht alle Fakten zu kennen…
Das Gefühl, als radelnder Geldschein unterwegs zu sein, ist jedoch nicht abzuweisen und so lassen wir unsere Räder nicht eine Sekunde allein. Auch wenn ein Parkplatz voller Autos ist, die teurer sind, als unser gesamtes Erspartes inklusive unserer Fahrräder, stehen die Schaulustigen bei uns, den wirklich Reichen. Einmal machen wir den Fehler, unsere Fahrradlampen zu benutzen - wären wir mit einem Porsche vorbeigefahren, hätte der Effekt nicht größer sein können. Immerhin ist uns im ganzen Land trotz einer großen Anzahl an Fahrradfahrern noch keiner mit Licht begegnet. Nicht nur einmal werden wir mit „Hallo, wie viel kostet dein Fahrrad?“ angesprochen. Mit Gedanken an die ausgeraubten Radreisenden in Belize schaffen wir uns einen USB-Stick an, um die wichtigsten Daten unseres kleinen Netbooks im Fall eines Überfalls gesichert zu haben. Tatsächlich begegnen uns jedoch hauptsächlich hilfsbereite und sehr interessierte Menschen. Sogar Kinder kommen erstmals auf uns zu, um uns auszufragen. Kriminalität sehen wir während unserer gesamten Zeit lediglich in der Zeitung.
Die zufällige entstandene Bekanntschaft mit zwei ausgewanderten Deutschen, die nahe Tela eine Farm betreiben, lässt uns ein wenig mehr hinter die Kulissen blicken. Auf ihrer sonnenbestrahlten, einfachen Finca wachsen die wunderbarsten tropischen Früchte, doch das Paradies hat seinen Preis. Allein um ihr rechtmäßig gekauftes Grundstück behalten zu können, mussten sie Neider, die ihr Land besetzten, mit Hilfe der Polizei entfernen lassen, die natürlich erst bei „kleinen Geschenken“ wirklich aktiv wurde. Waffenbesitz ist für den früheren Sozialpädagogen in der Zwischenzeit selbstverständlich, auch wenn er sich das vor seinem neuen Leben nie hätte auch nur vorstellen können. „Wenn man nicht zeigt, dass man sich wehren kann, wird man hier schnell zum Opfer!“.

Auf der Backpacker-freundlichen Insel Utila treffen wir ein Honduras, das kaum noch Ähnlichkeit mit dem Festland hat. Die „Bay Islands“ waren in früheren Zeiten Zufluchtstätte für Piraten und deren englischsprachige Nachfahren sind noch heute zahlreich vertreten, wodurch hier mehr Englisch als Spanisch zu hören ist. Weltweit werden auf dieser Insel die meisten Tauchscheine ausgestellt und das hat einen guten Grund. Nirgendwo auf der Welt bekommt man so gute Preise trotz guter Leistung. Zu einem Tauchkurs inklusive Lernmaterial erhalten wir eine kostenlose Unterkunft, mehrere Gratistauchgänge, dürfen sooft wir wollen umsonst auf den Tauchbooten (z.B. zum Schnorcheln) mitfahren und bekommen Kajaks sowie Ausrüstung gestellt. Nach Tagen voller Tauch- und Schnorchelausflüge, einer Begegnung mit einem Walhai, einer Kajaktour durch Mangroven und vielen neuen Bekannten aus aller Welt gehen wir noch ein letztes Mal vor unserer geplanten Abfahrt ins Wasser. Metergroße Adlerrochen, ein Schwarm Tintenfische und hunderte bunter Fische umringen uns, als wir uns in die Augen sehen und uns fragen, wieso wir eigentlich weiter reisen müssen, wenn wir doch schon im Paradies angekommen sind.
Nach einigen weiteren Tagen schaffen wir endlich den Absprung zurück aufs Festland und reisen in Richtung der in den Bergen gelegenen Hauptstadt Tegucigalpa. Auf dem Weg danken wir dem Fußballsport, der weit mehr vermag, als wir bisher annahmen. So erkennen Fußballfans unsere Flagge und wir sind endlich mal nicht immer Gringos…
Das Klima in den Bergen beschenkt uns mit kühleren Nächten, wenn man sie sich auch mit Höhenmetern kaufen muss. Eine Familie, in deren Garten wir schlafen, macht sich aufgrund der „niedrigen nächtlichen Temperatur“ von etwa 22°C sogar ernsthaft Sorgen um uns und wir müssen einige Überzeugungsarbeit leisten, bis sie uns glaubt, dass wir uns seit Monaten nichts lieber wünschen!
Im Hochland werden die tropischen Pflanzen von unzähligen Kiefern abgelöst, die die Luft mit ihrem harzigen Duft schwängern. Über eine landschaftliche Mischung aus Utah in den USA und dem Taunus in Deutschland fahren wir durch den „Utaunus“ weiter nach Nicaragua.

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Fahrradweltreise. Bericht 12. Bericht. Belize
(24.07. - 17.08.12/ 18.203 - 18.580 km/ 129.150 - 130.391 hm)

Don’t move so fast, white girl!

Unser Tor zu Mittelamerika bildet Belize (bis 1981 Britisch Honduras), das einzig englischsprachige Land in Mittelamerika. Gleich in der ersten Stadt, dem ruhigen Corozal Town, finden wir einen geeigneten Ort für einen längeren Aufenthalt. Wir erledigen liegen gebliebene Arbeiten und können uns einen ersten Eindruck des Landes bilden. Schnell lernen wir den typischen Einwohner Belizes kennen - er hat eine schwarz-braun-gelb-weiße Hautfarbe und spricht englisch, spanisch, kriol, maya, mandarin, plattdeutsch oder eine andere Sprache... Obwohl wir noch nah an der mexikanischen Grenze sind, merken wir schon jetzt eine große Veränderung. Auf den Straßen hören wir kaum mehr die in Mexiko beliebte Ranchero Musik, sondern immer häufiger Reggae. Was uns jedoch am meisten auffällt, ist das Tempo der Menschen im täglichen Leben. Nirgendwo finden wir jemanden in Hetze, die Leute schlendern von A nach B und in mehreren Geschäften wird gerade so viel gearbeitet, wie Lust und Notwendigkeit besteht und dann geschlossen. Karina hat etwas zu erledigen und wird glatt auf ihre Gangart angesprochen. Wir geben also unser Bestes und versuchen die Mentalität zu übernehmen, die selbst auf manchen Schildern zu lesen ist. Go slow!

Auf unsrem Weg durch Belize, das selbst Fahrradfahrer in wenigen Tagen durchqueren können, bewegen wir uns vom landwirtschaftlich geprägten Norden durch Sumpflandschaft nach Süden und anschließend ins Landesinnere, wo Nadelbäume und Palmen Schulter an Schulter stehen. Vom Anblick der Kiefern sind wir begeistert, etwas so „Besonderes“ zu sehen und müssen lachen. Spannend ist die Welt wohl überall - entscheidend ist einzig, was die eigenen Augen gewohnt sind.
Wir fahren durch ein Land, das den Tourismus als größte Einnahmequelle entdeckt hat und daher ganze 40 % des Landes auf die eine oder andere Art geschützt werden. Das hört sich erst mal sehr löblich an, doch bei fast drei mal mehr Touristen im Jahr als Einwohner im Land, sind nicht genug Mittel vorhanden, ausreichende Kontrollen durchzuführen, die den Naturschutz tatsächlich gewährleisten. Viele Menschen in Belize unterstützen jedoch den Umweltschutz, da der Ökotourismus die Lebensgrundlage vieler bildet. So finden wir in Städten mehr Mülleimer und neben den Straßen weniger Müll als aus Mexiko gewohnt.

Mit Hilfe des „Belize Zoo“ tauchen wir ungeahnt tief in die Fauna des Landes ein. Neben Leoparden, Tapiren (die Nationaltiere), Pumas und Harpyienadlern, den größten Adlern der Welt, gibt es eine Vielzahl weiterer Tiere kennen zu lernen. Sympathisch ist, dass hier ausschließlich "Problemkinder" leben, also Tiere, die in der freien Wildbahn nicht überlebt hätten. Für uns der Grund, das wir überhaupt einen Zoo besuchen.

Die Cayes - so nennen sich die kleinen Inseln vor der Küste, an der das zweitlängste Korallenriff der Welt verläuft - lassen wir unbeachtet hinter uns. Immerhin kann man an demselben Riff auch noch in Honduras tauchen - jedoch deutlich billiger. Erwähnenswelt ist trotzdem das beeindruckende „Blue Hole“, eine Höhle, deren Decke mit dem Ansteigen des Meeresspiegels nach dem Ende der letzten Eiszeit kollabierte und sich mit Wasser gefüllt hat. Das kreisrunde, etwa 120 m tiefe und 300 m durchmessende Loch ist vom All aus zu sehen und ein Symbol für Belize geworden.

Einen Eindruck der vielen erstaunlichen Höhlen in Belize bekommen wir bei einem Tageausflug in die Hölle. Nach altem Mayaglauben führt der Cave Branch River über verschiedene Höhlensysteme auf direktem Weg nach Xibalbá, der Unterwelt. Wir lassen uns auf einer Art Autoschlauch, bewaffnet mit einem Helm und einer Stirnlampe mal gemächlich, mal rasant inmitten der Strömung durch in Jahrmillionen geformte Kalksteinhöhlen treiben.

Vorbei an Belmopan, mit 20.000 Einwohnern sicherlich eine der kleinsten Hauptstädte der Welt (Belize City hatte diesen Titel 1961 nach Hurrikan Hattie verloren), teilen wir ein Mittagessen mit dem Mennoniten Johan und seiner ältesten Tochter Elsie. Seiner Einladung folgend haben wir das seltene Privileg, für einen Tag Teil ihres Farmerlebens zu sein. Wie zurückversetzt in eine frühere Zeit wohnen wir in einer Siedlung ohne Strom und moderne Technik. Die sehr gläubigen Menschen des Dorfes verzichten bewusst auf diese Dinge, um nicht von ihrem Bibelstudium und Glauben an Gott abgelenkt zu werden. Johan gibt uns völlig offen zu jeder unserer Fragen Antwort und damit Einblick und Hintergrundwissen in die Lebensführung der Mennoniten.

Während unserer Weiterreise unterhalten wir uns auf der Straße mit einem Anwohner, der uns von zwei anderen Fahrradreisenden erzählt, die nur einige Tage zuvor auf exakt derselben Straße 30 km weiter ausgeraubt wurden. Was viele gemütlich und geschützt auf dem Sofa lesen, rückt für uns schlagartig in die unmittelbare Wirklichkeit. Nie zuvor fühlten wir uns so angreifbar. Nervös und voller Mitgefühl für die anderen Radreisenden fahren wir immer näher an den Ort des Geschehens - eine andere Straße gibt es nicht. Schon bald fahren immer wieder Polizeistreifen an uns vorbei, wahrscheinlich bedingt durch die Vorkommnisse und fragen nach unserem Befinden. Ob wir so einem Überfall entgangen sind, können wir nicht sagen, eine mentale Unterstützung bot die Präsenz der Polizei jedoch allemal.

Im Süden Belizes enden jegliche Straßen im undurchdringlichen Dschungel. Mit einem schnellen Motorboot, gerade mal 20 weiteren Personen und unseren ausnahmsweise erlaubten Fahrrädern, fahren wir durch Mangroven auf das offene Meer hinaus. Guatemala und El Salvador überspringen wir und steigen an der Küste des bergigen Honduras erneut auf Festland, um unsere Fahrradweltreise fortzusetzen

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Fahrradweltreise. Bericht Nr. 11. Der Osten Mexikos
(04.06. - 24.7.12/ 16.694 - 18.203 km/ 118.846 - 129.150 hm)


Welcome to the Jungle!

Bisher waren wir der Meinung, dass sich bei einer Fahrradweltreise die Umgebung langsam verändert - doch bekanntlich lernt man nie aus. Von etwa 2.400 m, mit Sicht auf den höchsten Berg Mexikos, den Pico de Orizaba, verläuft unser Weg über das längste Gefälle unserer bisherigen Reise in den Bundesstaat Veracruz bis auf Meereshöhe. Angenehme 18 °C in der Nacht weichen 24 bis 27°C in Verbindung mit unerträglicher Luftfeuchtigkeit. Unsere Nächte entwickeln sich von erholsamen Stunden zu einem Dampfgrottenbesuch mit 33°C im Zelt. Erträglich wäre es unter freiem Himmel zu schlafen, doch dort warten gierig unzählige Mücken, um ihre Blutmahlzeit zu erhalten und als Dankeschön eventuell noch Denguefieber und Malaria da zu lassen. Tatsächlich sind wir in einer Periode angelangt, in der der einzig angenehme Ort der auf dem Fahrrad ist. „Selbst produzierter“ Wind bei bis zu 52°C in der Sonne ist im Moment Gold wert. Ein Mexikaner stellt uns die Frage, wieso wir solch eine Reise eigentlich machen, denn er stelle sich das als sehr entkräftend vor. Als Antwort fällt uns zunächst nur ein, dass wir uns das gelegentlich ebenfalls fragen…
Doch einhergehend mit dem Klimawandel verändern sich auch Flora und Fauna. Als starker Kontrast zu den trockenen Bergen des zentralen Hochlands finden wir uns nur wenig später in einer Sumpflandschaft wieder, in der es mehr Wasser als Land gibt. Grüne Farben sind auch jetzt schon so präsent wie nie zuvor, doch mit jedem Meter, den wir weiter in den Bundesstaat Tabasco fahren, nehmen die Farbnuancen des Grüns noch zu. Die Natur wird merklich unberührter und im Bundesstaat Chiapas lenken wir unsere Räder vorbei an Mayadörfern, in denen Spanisch nur die zweite Sprache ist, bis in den tiefen Dschungel nach Palenque. Wir tauchen in eine fremde Welt ein, in der wir von über tausend Jahre alten Tempelruinen Brüllaffen beobachten können und Pflanzen wie Unkraut wachsen sehen, die jeden Gärtner in Europa schwach werden lassen.


Es sind also durchaus Gründe für unsere Reise zu finden. Unausgeruht lässt sich jedoch, so beeindruckend sie auch ist, die Welt nicht genießen. Das Wetter können wir nicht ändern, unseren Schlafplatz hingegen schon. Ein gemietetes Zimmer mit Ventilator in den wärmsten Nächten wirkt Wunder. Ein wenig fordern wir unser Reisebudget heraus, doch etwa 4 € pro Person und Nacht stehen in keinem Verhältnis zu den Preisen, die wir von Deutschland kennen und dem Erholungswert, den wir dadurch erlangen. Auf diese Weise schöpfen wir wieder Kraft und siehe da: Weltreisen macht wieder Spaß!

Eine ganz neue Wendung nimmt unsere Reise an, als wir mitten in dem abgelegenen Dschungeldorf Raudales de Malpaso übernachten. Aufgefallen sind wir natürlich auch bisher überall, doch nun werden wir angestarrt, als kämen wir aus einer anderen Welt - was nach Sicht der meisten Bewohner hier wohl auch nicht ganz unwahr ist. Deutschland  - selbst Europa - ist den meisten nämlich kein Begriff. Die Welt erschreckend vieler Mexikaner besteht aus Lateinamerika und den gehassten als auch geliebten „Los Estados Unidos“ (USA). Bei der Frage, wo wir her kommen, antworten wir „aus Deutschland“. Für viele ist das ein Staat der USA und selbstverständlich ist unsere Muttersprache Englisch - wie übrigens die aller Europäer. Fragt man uns, wohin wir mit dem Fahrrad fahren, geben wir wahrheitsgemäß wieder, dass wir um die Welt fahren. Als Antwort ist dann meist etwas wie „schön, schön, viel Vergnügen noch“ zu vernehmen. Wenn wir dann weiter gefragt werden, welche Strecke wir bereits in Mexiko zurückgelegt haben, überschlagen sich die Menschen fast bei der Antwort. Die Welt ist für die Menschen hier einfach ein zu großer Begriff…

Was bisher nur harmlose Neugier war, entwickelt sich im Zapatista-Gebiet (eine Gruppierung, die sich für Rechte der indigenen Bevölkerungsschicht einsetzt) des Bundesstaates Chiapas zu handfestem Rassismus gegenüber Amerikanern. Wie bereits erwähnt, ist Deutschland neuerdings ein Staat der USA und somit sind wir voll betroffen. Unsere Reisegeschwindigkeit verlangsamt sich erheblich, da wir uns entschlossen haben, die unbedachten Ausrufe und Angriffe beim Passieren der kleinen Dörfer nicht auf uns sitzen zu lassen und leisten stattdessen Aufklärungsarbeit. Frust, Aggression und das Gefühl unfair behandelt zu werden sind starke Kräfte, die Jans Spanisch rasch voran bringen. Noch immer im Territorium der Zapatistas kann er sich so erfolgreich gegen eine Forderung nach Wegzoll zweier Männer in einem Pick Up wehren. An der Grenze zum nächsten Bundesstaat bleibt schlagartig jeglicher Rassismus zurück und wir werden so freundlich wie eh und je behandelt. Haften bleibt das Gefühl, nun genau zu wissen, wie betäubend sich Ausländerfeindlichkeit am eigenen Leib anfühlt und wie wichtig es dementsprechend ist, Fremden auch vor der eigenen Tür stets Hilfe anzubieten.

Am 1. Juli finden dann die Präsidentschaftswahlen Mexikos statt. Den Wahlsieg trägt trotz großer Studentenproteste im ganzen Land Enrique Peña Nieto der Partei PRI davon. Die Partei, deren Geschichte länger, dreckiger und korrupter ist, als die aller anderen Parteien gemeinsam, arbeitet mit Televisa, dem mit Abstand größten Fernseh- und Radioimperium Lateinamerikas, zusammen. Die meisten Menschen in Mexiko bekommen ihre Neuigkeiten ausschließlich vom Fernsehen, denn nur etwa 30 % haben Internetzugang. So haben Fehlinformationen und Glorifizierung einen Mann an die Macht gebracht, der alles andere als die richtige Wahl ist.


Eine ganz besondere Richtung nimmt unsere Reise an, als Karinas Vater Peter uns für die letzten zwei Wochen in Mexiko besucht. Wir lassen unsere Räder, sowie unser gewohntes Leben zurück und tauschen es gegen echten Urlaub ein. Peter fährt uns mit dem Mietwagen durch die Halbinsel Yucatán, die für uns zur Traumverwirklichungsstätte werden soll. Preise, die wir nirgendwo bisher im Land gefunden haben, schrecken uns zunächst ab und auch die Tatsache, dass die Karibikküste kaum mehr Ähnlichkeit mit dem Rest Mexikos hat. Nach und nach nehmen wir aber das Geschenk an, das uns Peter macht und genießen die wunderschönen Hotels und das regelmäßige Essen im Restaurant. Wir schnorcheln am Korallenriff der Karibik mit unzähligen bunten Fischen, Meeresschildkröten, großen Barrakudas und einem Ammenhai. Auf der Insel Holbox machen wir dann eine Erfahrung, die uns unser Leben lang präsent bleiben wird: wir schnorcheln mit Riesen-Mantas und Walhaien, den größten Fischen der Welt. An Land besuchen wir unterirdische Süßwasserhöhlen (Cenoten) für die die Halbinsel Yucatán bekannt ist, von denen Jan zwei betaucht. In einem Strandhotel abseits der Zivilisation lassen wir dann diese und viele weitere Erlebnisse der gemeinsamen Zeit nachklingen und genießen es, mal nicht täglich unterwegs zu sein.
Die zwei Wochen stellen sich als einmalige Ergänzung unserer Erfahrungen in Mexiko heraus, doch wir realisieren im Nachhinein ebenso, wie oberflächlich man als „Normaltourist“ ein Land bereist und wie wenig Kontakt zu Land und Leuten entsteht.

Mit vielen positiven aber auch negativen Eindrücken verlassen wir nach einem halben Jahr Mexiko. Der lange Aufenthalt gab uns die Chance, ein wenig genauer hinzusehen und so intensiver als zuvor die Glanzlichter, aber eben auch die Schattenseiten eines Landes kennen zu lernen. Belize liegt nun direkt vor uns und mit dem Überfahren der Grenze tauchen wir neugierig in die Welt Mittelamerikas ein.

 

 

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Fahrradweltreise. Bericht Nr. 10. Das zentrale Hauptland Mexikos
(31.03. - 04.06.12/ 14.795 - 16.694 km/ 102.645 - 118.846 hm)


Durch und durch Mexiko

Laut und chaotisch begrüßt uns „das echte Mexiko“, als wir in Mazatlán die Fähre verlassen, um mit dem Fahrrad quer durch das Land weiter nach Belize zu fahren. Überwältigt von neuen Eindrücken fahren wir durch wuselnde Menschenmassen, die durch die für Mexiko typischen kleinen Lädchen wandern oder an den unzähligen Straßenständen Tacos, Mais, Früchte oder Süßigkeiten kaufen. Ein wenig abseits suchen wir einen Ort, um uns neu zu organisieren und werden das nächste Mal überwältigt. Vor uns steht vor Begeisterung schreiend dieselbe mexikanische Familie, die wir bereits in Norwegen getroffen haben. Beim Gedanken an die Wahrscheinlichkeit dieses Treffens sollten wir aufgrund der hohen Gewinnchancen beginnen, Lotto zu spielen… Das unerwartete Treffen wird gefeiert und wir planen fest einen Besuch bei ihnen zu Hause in Mexiko Stadt ein. Auf dem Weg dorthin lernen wir einen wichtigen Teil der mexikanischen Mentalität kennen: wenn man auf irgendeine Weise in den Kreis einer Familie gerückt ist, kann man sich jeglicher Unterstützung sicher sein.
Vom Bundesstaat Sinaloa radeln wir weiter nach Nayarit. Die Landschaft hat keinerlei Ähnlichkeit mehr mit der trockenen Baja California und erinnert bereits viel mehr an Urwald. Neben völlig unbekannten Bäumen entdecken wir direkt neben der Straße Kaffeesträucher, Avocadobäume, Bananenstauden, sowie unendlich viele Mangobäume. Was wir als teure Importwaren kennen, ist hier lokal, billig und so viel schmackhafter, als die halbreif geernteten und weit gereisten Waren, die wir von zu Hause kennen!

Nur kurz nach unserem ersten „Weltreise-Geburtstag“ und dem ersten Besuch einer Freundin sowie ihrer Tochter aus Deutschland, realisieren wir in Punta de Mita unseren Wunsch, an einem sozialen Projekt teilzunehmen. Gemeinsam mit einer Australierin und einer US-Amerikanerin, die ebenfalls mit dem Fahrrad reisen, besuchen wir mehrere Schulen und sprechen über unsere Reise. Dabei behandeln wir zwei Schwerpunkte: den Mut, an seine Träume zu glauben und diese mit Tatkraft und kleinen Schritten zu verwirklichen, sowie den eigenen Anteil am Umweltschutz.
Weitere Projekte umfassen die Erziehung zu Umweltbewusstsein, Müllvermeidung (ein besonders großes Problem in Mexiko) und Recycling. Wir entwickeln Fahrradreflektoren aus Müll, die zukünftig Frauen produzieren, um Nahrung für ihre Familien zu erhalten und einige mehr. Durch die Nähe zum Dorfleben und den längeren Aufenthalt an einem Ort erhalten wir einen traurigen Einblick in das wahre Leben einiger Bewohner. Die Palette reicht von einer 13-jährigen Mutter, bei der man nur weiß, dass „einer der Busfahrer“ der Vater ist, bis hin zu mehreren Mordversuchen in der eigenen Familie... In Mexiko ist viel Weiterentwicklung zu beobachten, doch es fehlt ebenso an vielen Stellen noch ein sehr großer Schritt.


Nach arbeitsreichen Tagen kehren wir mit neuen Freunden in Herzen zurück zu unserem „Alltagleben“ und reisen weiter. Von der Küste kämpfen wir uns hinauf in die Hochebene bis weit über 2.000 m in Richtung Mexiko Stadt. Auf unserem Weg liegen die zweitgrößte Stadt Mexikos, Guadalajara und der Ausgangspunkt der Mexikanischen Unabhängigkeit, Guanajuato. Die gewundenen Höhenstraßen, die unsere Ziele verbinden, liefern uns eine beeindruckende Aussicht.

In Mexiko Stadt ballt sich dann nahezu alles, was sich inzwischen als typisch mexikanisch herausgestellt hat. Männer, die ihre Siesta mit Sombrero unter einem Kaktus verbringen, gehören übrigens nicht dazu. Umso mehr jedoch laute Werbung, Pick Ups voller Menschen trotz Anschnallpflicht (auch die der Polizei), die Mentalität, dass etwas in Ordnung ist, solange es irgendwie funktioniert und der „typische“ Baustil Mexikos. Im ganzen Land findet man halbfertig gebaute Häuser, die jedoch bereits wieder halb verfallen sind.

Ein Gefühl für die Größe der Stadt - je nachdem wem man glaubt, die größte der Welt - bekommen wir, als wir zwei Stunden mit öffentlichen Verkehrsmitteln von einem Außenbezirk bis ins Zentrum fahren. Glücklicherweise führt uns ein Freund durch die Stadt, denn wenn wir auf der Straße Mexikaner nach dem Weg fragen, bekommen wir in der Regel von drei unterschiedlichen Personen drei unterschiedliche Angaben.


Die erste antike Stätte, leicht zu erreichen von Mexiko Stadt, sehen wir dann in Teotihuacán. Es ist beeindruckend, von der drittgrößten Pyramide der Welt hinab auf Kultstätten zu stehen, die selbst die Azteken bereits verlassen vorgefunden haben. Diese ist heutzutage jedoch so voller aufdringlicher Händler, dass es schwer fällt, sich auf die Magie der alten Zeit einzulassen.
Als wir die Hauptstadt hinter uns lassen, umfahren wir den rauchenden Vulkan Popocatépetl. Vom Zelt aus bestaunen wir nachts, wie glühende Lava des Kraters den Himmel in Feuer taucht. Den großen Ausbruch, von dem Experten in naher Zukunft ausgehen, hat es jedoch noch nicht gegeben. Karina bestieg vor zehn Jahren den Nachbarvulkan Ixtaccihuatl, als sie in der nahe gelegenen Stadt Cholula lebte. Sie sieht die Berge, Städte und Freunde von damals wieder und doch erlebt sie durch die Reise mit dem Fahrrad alles neu, anders und um einiges intensiver. Bald lässt jedoch auch sie die für sie bekannte Welt hinter sich und betritt genau wie Jan Neuland.

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Fahrradweltreise. Bericht Nr. 9 (Jan) Baja California/ Mexiko
(23.01. - 31.03.12/ 13.039 km - 14795/ 90.587 - 102.645 hm)

Es macht die Wüste schön, dass sie irgendwo einen Brunnen birgt.
(Antoine de Saint-Exupéry)

 

 

Auf dem Fahrrad durch Mexiko - für viele ein unvorstellbares Vorhaben. Mexiko ist ein Land, das in Anbetracht der Medien selbst für einen kurzen Aufenthalt nicht geeignet erscheint. Mit dem Grenzübergang zwischen San Diego und Tijuana, der meist passierten Grenze weltweit, beginnt für uns die Zeit, in der wir unsere eigenen Erfahrungen in diesem Land machen. Das Visum, nach dem wir an der Grenze lediglich fragen müssen, gewährt uns ein halbes Jahr Aufenthalt und damit genug Zeit, uns ein eigenes Bild zu machen. 

Das erste Mal auf unserer Fahrradweltreise fallen wir aufgrund unserer Hautfarbe auf. Durch die Nähe zu den USA schließen die meisten Mexikaner aufgrund unseres Aussehens sofort auf „Gringo“. Diese eher abschätzige Bezeichnung eines US-Amerikaners hat direkte Auswirkungen auf uns: Verkäufer schließen bei heller Haut automatisch auf „wohlhabend“, laden uns also laut und aufdringlich auf Englisch ein, ihre Waren zu überteuerten Preisen zu erstehen. Karinas freundliche Antwort in fließendem Spanisch bringt viele sichtlich aus dem Konzept. Wenn im weiteren Gespräch klar wird, dass wir aus Deutschland kommen, werden wir noch einmal freundlicher behandelt. Europäer gelten hier als interessierter an den Menschen und der Sprache. Bereits in den USA haben wir einen passenden Scherz gehört, konnten aber erst hier in der Baja California die dazugehörigen Charaktere finden: „Wenn jemand zwei Sprachen spricht nennt man das bilingual. Wenn jemand drei Sprachen spricht, nennt man das trilingual. Wenn jemand nur eine Sprache spricht, nennt man das Amerikaner“. Tatsächlich kreuzten mehrere Amerikaner unseren Weg, die auch noch stolz darauf waren, nicht einen vollständigen Satz Spanisch zu sprechen - aber seit 20 Jahren hier leben...

Das ein wenig unecht wirkende Mexiko in der Nähe der Grenze mit all seinen Hotels, Ferienappartements, englischsprachigen Reklameanzeigen und Golfplätzen lassen wir gerne hinter uns. Wir folgen der einzigen durchgehenden Straße der etwa 1.200 km langen (und damit weltweit zweitlängsten) Halbinsel in Richtung Süden.

In Ensenada nimmt unsere Reise gleich die nächste Wendung. Wir treffen auf eine bunt gemischte Gruppe Fahrradreisender aus 6 Nationen, der wir uns für mehrere Wochen anschließen. Es ist interessant für uns, zu sehen, auf wie unterschiedliche Weise man reisen kann. Durch neue Erfahrungen und anregende Gespräche gewinnt unsere Reise. Aufgrund der vielen unterschiedlichen Einstellungen, Wünsche und Bedürfnisse spüren wir jedoch auch, dass das Reisen in einer so großen Gruppe mehr Kraft von uns abverlangt.

Zunehmend verändert sich unsere Umgebung. Die Landschaft wird trockener, jedoch nicht weniger belebt. Eine beeindruckende Vielfalt an bis zu sieben Meter hohen Kakteen und nie zuvor gesehenen Wüstenpflanzen erwecken in uns den Eindruck, durch einen botanischen Garten zu fahren. Der traurige Anblick des achtlos neben die Straße geworfenen Mülls und der Gestank von brennendem Unrat holen uns dann schnell wieder in die Realität zurück. Umweltfreundliche Lösungen zur Müllbeseitigung gibt es leider kaum in Mexiko, dafür aber eine wahre Flut an Einwegartikeln.

Auf der Straße grüßt man uns gern und mexikotypisch laut. Hupen, Winken und motivierendes Zurufen sind an der Tagesordnung. Wirklich angesprochen (ganz im Gegensatz zu den USA und Kanada) werden wir jedoch äußerst selten - ausgenommen von Soldaten der Kontrollposten an der Straße natürlich. Diese tägliche Präsenz von Bewaffneten macht uns ein wenig nervös, wenn sie dann jedoch ihre Warnflagge wie bei einem Zieleinlauf für uns schwenken und uns Himbeeren und Kekse schenken, merken wir, dass unter den Uniformen auch nur Menschen stecken. Selbst die mexikanische Polizei, von der wenig Gutes zu lesen ist, behandelt uns ausnahmslos gut. So werden wir einmal sogar bei der Schlafplatzsuche unterstützt. Am Morgen erkundigt man sich nach unserem Befinden und spendiert eine große Flasche Cola für das Frühstück... Die Lage in Mexiko lässt sich deshalb natürlich nicht als rosarot bezeichnen. Uns ist klar, dass die Baja California aufgrund ihrer Geografie nicht zu den wichtigen Drogenschmuggelrouten in die USA gehört, weiter östlich der Drogenkrieg jedoch durchaus seinen Platz findet.

Immer wieder wenn wir die wenigen Orte hinter uns lassen, spüren wir die raue Wildnis um uns. Geier ziehen ihre Kreise am Himmel, sonnengebleichte Knochen neben unserem Weg wechseln sich mit dem immer wiederkehrenden Geruch von Verwesung ab. Mit solchen Eindrücken bewegen wir uns auf die Stadt San Ignacio zu. Auf einmal tauchen hinter einer Kurve wie aus dem Nichts tausende Dattelpalmen auf und nur wenig später waschen wir uns den Wüstenstaub bei einem erfrischenden Bad im Fluss vom Körper.

Kleine Paradiese im Nichts scheinen eine Besonderheit der Halbinsel zu sein. Warme Quellen, Oasen oder die schönsten Strände auf unserer bisherigen Reise hätten wir ohne unsere langsame Fortbewegungsweise wohl kaum gefunden. So mancher Unternehmer unterstützt da gerne zukünftigen Tourismus, indem er riesige Hotels direkt an Ort und Stelle baut - bis kaum mehr etwas von der Idylle zu finden ist. Der Nationalpark Cabo Pulmo mit dem einzigen Korallenriff der Halbinsel ist definitiv ein solches Paradies und kommt mit seinem funktionierenden Ökotourismus sehr gut ohne Luxushotels aus. Großinvestoren haben den Betreibern jedoch bereits den Kampf angesagt.

In der Fähre, die uns in 18 Stunden über Nacht mit Blick auf Wale und Haie von La Paz nach Mazatlán zum Hauptland bringt, lassen wir die wenig besiedelte Baja California ohne auch nur eine schlechte Erfahrung hinter uns. Gerade rechtzeitig, denn auch hier radeln wir wie immer gegen die Jahreszeit - in nur wenigen Wochen würden Temperaturen mit über 40 Grad jeden Tag zu einer Qual auf dem Fahrrad werden lassen.

In unseren Köpfen kreisen noch die Bilder von morgendlichem Nebel, wie er vorbei an weißem Granit und Kakteen zieht, unzähligen sternenklaren Nächten sowie bunten Fischen und Seelöwen, mit denen wir Seite an Seite tauchen, während wir uns auf Deck zur Ruhe legen, um Kraft für neue Erfahrungen im Hauptland Mexikos zu sammeln.

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Fahrradweltreise. Bericht Nr. 8. (Jan) USA
(26.10.11 - 23.01.12/ 8.949 -13.039 km/ 61.019 - 90.587 hm

Quer durch die Staaten - „Good for you!“
Mit dem Fahrrad in 89 Tagen quer durch die vereinigten Staaten von Amerika zu fahren, hinterlässt mehr als nur einen Eindruck. Generalisieren lässt sich wahrscheinlich nur, dass der Großteil der Amerikaner genauso wenig kriegsbesessen, oberflächlich, übergewichtig und dumm ist wie ein jeder Deutsche nur Sauerkraut isst und Lederhosen trägt. Entweder entstehen Landespolitik und Medien einfach nicht im Wohnzimmer der „normalen“ Menschen oder fahrradfahrerfreundliche Amerikaner sind anders. Ein wenig müssen wir dann doch schmunzeln, als auf unserem Weg nach Süden unzählige „Snowbirds“ an uns vorbei fahren und zumindest das Klischee von „Bigger is better“ bestätigen. So werden hier Amerikaner genannt, die den Winter lieber im warmen Süden verbringen. Ihre Fahrzeuge sind linienbusgroße Wohnmobile, die zu 95% zusätzlich einen Geländewagen, einen ATV oder Roller hinter sich her ziehen.

Nicht wenige Kanadier haben uns vor den strikten Grenzbeamten der USA gewarnt und das Internet über die vielen vor der Einreise zu treffenden Vorkehrungen informiert. Das nötige Flugticket als Beweis, dass wir das Land wieder verlassen werden, haben wir aus gegebenem Grund nicht vorzuweisen. Die Fahrräder gehen jedoch als alternatives Reisemittel durch. Der Kontoauszug, welcher ausreichende Geldmittel bestätigen soll, ist gewissenhaft ausgedruckt, auch wenn in der Hektik nur das nahezu leere Konto eingesehen wird. Eine erste Adresse im Land soll man ebenfalls vorweisen können. In unserem Fall übernehmen die Grenzbeamten diese Aufgabe und tragen einen glaubhaften Ort für uns ein. Auch über den Inhalt unserer Taschen werden wir weder ausgefragt noch diese überprüft. So strikt fühlt sich das nicht an…

Wie in jedem neuen Land haben wir das Gefühl, uns neu orientieren zu müssen. Uns beschäftigen die Fragen, wo wir legal unser Zelt aufstellen können, ohne Aufsehen zu erregen oder dafür zu zahlen, wie die Lebensmittelpreise und die Umgangsformen sind. In der ersten Stunde steuern wir also erstmal einen Supermarkt an. Wie meistens kauft Jan ein, während Karina auf die Fahrräder aufpasst und dabei Tagebuch schreibt. Ein interessierter Mann spricht Jan auf die beladenen Fahrräder an. Begeistert von unserem Vorhaben möchte er uns unterstützen und schenkt uns einige Dollar. Zeitgleich kommt Karina vor der Tür mit einer Frau ins Gespräch, die uns sofort zu sich nach Hause einlädt. Während wir anschließend die Lebensmittel verstauen, nähert sich Jans neuer Bekannter noch einmal und entschuldigt sich, ganz vergessen zu haben, uns einen Schlafplatz anzubieten. Eine dritte, wenige Minuten später erhaltene Einladung müssen wir aus Ermangelung an Bedarf ebenfalls dankend und leicht verblüfft ablehnen. Wie wir in den nächsten Monaten erkennen werden, übertrifft die Gastfreundschaft der USA noch die der bisher bereisten Länder. Einen Schlafplatz in einer Scheune erhalten wir jedoch trotz vielfacher Nachfrage an Höfen nur ein einziges Mal - ansonsten wird uns die Scheune verwehrt und ein Gästebett im Haus angeboten. In den zwischendurch geführten Gesprächen über unsere Reise wird uns Anerkennung häufig mit den Worten „Good for you!“ ausgedrückt. Wir lassen uns erklären, dass diese Worte hier eine positivere Bedeutung als im Deutschen haben, allerdings auch kaum jemand auf die Idee kommen würde, ebenfalls auf einem Fahrrad um die Welt zu reisen.

In Michigan, dem ersten von uns durchfahrenen Staat, besuchen wir die nach der Krise in der Automobilindustrie stark angeschlagene und halb verlassene Stadt Detroit. Ein Gefühl der Unruhe begleitet uns, immerhin kam uns zu Ohren, dass Detroit in etwa die gleiche jährliche Mordrate wie ganz Kanada hat. Wir durchfahren leere Straßen, an denen abgebrannte und demolierte Häuser stehen und sind froh, unversehrt bei unseren Gastgebern anzukommen. Wie immer mehr Menschen (auch in Deutschland) stellen sie über die Internetseite www.warmshowers.com einen kostenlosen Schlafplatz und die besagte warme Dusche für Fahrradreisende zu Verfügung. Dank unserer Gastgeber lernen wir, die Stadt mit einem neuen Blick zu betrachten. Aus alten Häusern werden Kunstobjekte (genannt das Heidelbergprojekt), leere Flächen zu Gärten, Wohnraum ist zu unsagbar günstigen Preisen zu finden und zieht dadurch besonders junge Menschen an. Uns wird deutlich, dass die sprichwörtliche Medaille tatsächlich zwei Seiten hat und nehmen diese Lehre mit auf unsere weitere Reise.

E
in weiteres eindrückliches Erlebnis in Detroit verschafft uns der Besuch einer Grundschule. Die Lehrerin Ana sucht immer wieder nach Möglichkeiten, ihren aus ärmeren Verhältnissen stammenden Schülern neue Perspektiven und Sichtweisen zu eröffnen. Ihrer Einladung folgend rollen wir mit gepackten Rädern mitten in das Klassenzimmer einer dritten Klasse, beantworten gerne die begeisterten Fragen, erörtern, was wohl in unseren Taschen ist und sehen uns auf der Weltkugel das ferne Europa an.

Von Michigan aus folgen wir herbstlich bunten Wegen nach Ohio und bringen eine nicht enden wollende, von Landwirtschaft geprägte Umgebung auf unserem Weg nach Oklahoma hinter uns. Stürme sind hier nicht selten und so verzeichnen wir einen Schutzbunker als einen der interessantesten uns angebotenen Schlafplätze. Der Wind bläst nahezu permanent gegen uns und so gestalten sich die weiten Ebenen stellenweise beschwerlicher als so mancher Berg. Die schwer unter Altersschwäche leidende „Mother Road“ Route 66 führt uns weiter nach Texas und wirkt dabei wie ein Sinnbild für das ganze Land. Zerfallene Gebäude und Plätze erwecken den Eindruck, dass dieses Land seine glorreiche Zeit bereits hinter sich hat. Im starken Gegensatz zu unserer inzwischen sehr positiven Meinung über die Einheimischen treten bei Gesprächen über die USA immer häufiger Themen wie benzinhungrige Autos, die große Schere zwischen arm und reich, das teure Gesundheits- und Bildungssystem und die Bankenkrise in den Vordergrund. Mehrere Schüler erzählen uns von ihren Plänen, zur Armee zu gehen, da dies nahezu der einzige Weg ist, ein kostenloses Studium zu erhalten. Mit dem Überrollen der ersten 10.000 km lenken wir unsere Gedanken dann wieder auf erfreulichere Ereignisse.

Vorbei an Baumwollfeldern radeln wir nach New Mexico in immer trockenere Landschaft. Die vielen, hier typischen Adobe Häusern und unzählige Kakteen flankieren die Straße, die uns nun wieder nordwärts zu den Staaten Colorado und Utah führt. Eine neue Herausforderung in Form von zunehmender Kälte und Schneestürmen stellt sich uns entgegen. Temperaturen von bis zu - 16 °C hätten wir ohne die uns immer wieder entgegen gebrachte Hilfe kaum so komfortabel überstanden. Als stehe ein guter Stern über dieser Weltreise, finden sich immer wieder Menschen, die uns ihre Unterstützung schenken. Auf diese Weise erhalten wir ein „Supportfahrzeug“ bei Schnee, gleich zwei Mal im stärksten Schnee ohne danach zu fragen ein Hotelzimmer umsonst und Vieles mehr.


Auch wenn unsere Finger mehr als einmal durch die Kälte unbeweglich werden, sich die Atemluft im Zelt über Nacht zu Schnee verwandelt und unsere Trinkflaschen einfrieren, bevor wir sie austrinken können, sind wir überglücklich, den Umweg über das Hochland und Bergpässe bis knapp 3000 Meter Höhe in Kauf genommen zu haben. Nur so sahen wir den Klippenpalast des Mesa Verde National Parks, die Atem raubenden Steinbögen des Arches National Parks, die einzigartigen Hoodoos des Bryce Canyon National Parks und Schwindel erregende Wanderstrecken im Zion Canyon National Park.

Nach über einem Monat gelangen wir das erste Mal wieder unter 1000 Höhenmeter. Unseren Sinnen öffnet sich eine neue Welt. Der Übergang von kaltem Hochland in Wüste spielt sich fast an einem einzigen Tag ab. Dazwischen duftet alles nach Leben, grüne Pflanzen machen uns so glücklich, dass wir erst jetzt bemerken, wie sehr wir diese vermisst haben. Die uns bei Tageszeit umgebende Wärme begrüßen wir wie einen lange verlorenen Freund.
Nach der ruhigen und abgeschiedenen Zeit im wenig besiedelten Utah erleben wir in Nevada Las Vegas, das „Disneyland der Erwachsenen“, als einen Kontrast, wie er größer nicht sein könnte. Schließlich erreichen wir Kalifornien und durchqueren die Mojave Wüste. Wer gerne Joshua Trees sehen möchte, kann im Mojave Desert Preserve eine noch größere Dichte dieser lustig gebogenen Bäume als im Joshua Tree National Park finden. Inmitten dieser ausgetrockneten Landschaft fahren wir staunend an mehr Leben vorbei, als wir in der Wüste erwartet haben und treffen auf die erste Oase, die wir jemals mit eigenen Augen gesehen haben.

Das letzte von uns gewählte Ziel in den USA ist San Diego. Hier nutzen wir den Komfort einer Großstadt, um die letzten Vorkehrungen für Mexiko zu treffen. Nachdem uns etwa jeder Zweite Amerikaner vor unzähligen Gefahren gewarnt hat, fällt es uns schwer, mit neutralen Gefühlen an den Grenzübergang zu denken. Einer glücklichen Fügung zufolge treffen wir Nelson, der anbietet, uns mit dem Auto über das gefährlichere grenznahe Gebiet zu fahren.

Mit „Be safe and take care!” verabschieden wir uns in Amerikaner-Manier von unübertroffen gastfreundlichen und herzlichen Menschen, die sich gerne weniger Sorgen vor dem Unbekannten machen dürften.


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Fahrradweltreise. Bericht Nr. 7. (Jan) Kanada
(18.08.
- 26.10.11/ 5.901 - 8.949 km/ 45.870 - 61.019 hm)

Bezaubert durch Weite und Herzen

 
Mitten in der Nacht fahren wir vom Flughafen Halifax 50 km bis in die Innenstadt, zu unserer ersten Anlaufstelle in Kanada, dem zweitgrößten Land der Erde. Es ist 20 C° und damit selbst in der Nacht wärmer als während unseres gesamten Islandaufenthaltes. Später erfahren wir, dass wir den regnerischsten Sommer der letzten 30 Jahren gerade verpasst haben. Man kann eben nicht alles haben, denken wir uns… Kanada meint es gut mit uns - das soll uns noch viele weitere Male bewiesen werden!
Wir beginnen also unsere lange Reise durch den Amerikanischen Kontinent in der Provinz Nova Scotia, die direkt am Atlantik gelegen ist. Die erste Attraktion bestaunen wir bereits aus dem Flugzeug: Bäume - so weit das Auge reicht - und das nach einem Aufenthalt auf Island, wo es nicht unmöglich erscheint jedem einzelnen Baum einen Namen zu geben… Wir radeln vorbei an kleinen Fischerdörfchen und zu der Bay of Fundy. Dort haben wir Gelegenheit, in Five Islands den höchsten Gezeitenstrom der Welt zu bestaunen - bis zu 17 Meter Unterschied zwischen Ebbe und Flut! Bei Ebbe kommt man sich vor, als könne man auf dem tiefen Grund des Meeres laufen und hat damit nicht einmal Unrecht. Dort lässt sich auch sehr einfach nach Venusmuscheln im Sand graben, um das Abendessen ein wenig aufzubessern - sofern man Muscheln mit „Beinen“ mag.Unsere Fahrradreise könnte in dieser Zeit eigentlich als ein gemütlicher Urlaub in einer angenehmen Umgebung bezeichnet werden - würden durch den regnerischen Sommer nicht Millionen und Abermillionen Mücken auf der Suche nach Blut umherfliegen und selbst eine Minute des Verweilens an einem Ort mit teilweise bis zu 50 Stichen bestrafen. Das ist zumindest die Realität, der Jan ausgesetzt ist - Karina freut sich, einen Köder zu haben, um selbst einigermaßen verschont zu bleiben…
Nach und nach lernen wir anhand von immer neuen Beispielen den durchschnittlichen Kanadier kennen. Er ist stolz, Teil einer multikulturellen Nation zu sein und Ausländern gegenüber freundlich - „immerhin sind wir hier ja bis auf die Ureinwohner alle Ausländer“. Er stoppt sein Auto neben wildfremden Fahrradweltreisenden und bietet ihnen einen Schlafplatz oder sogar ein Sommerhaus an, denn er sieht keinen Anlass zur Vorsicht. Der Durchschnittskanadier sieht die enge Orientierung an den USA als nicht mehr zeitgemäß an, möchte US-Amerika selbstbewusster und unabhängiger begegnen. Er liebt seinen Ahornsirup und alle daraus zubereiteten Köstlichkeiten genau wie wir, ist entweder sehr naturfern und macht dementsprechend stundenlange Ausflüge mit dem Auto, steuert eine der unzähligen Picknick-Areas an einem schönen Ort an, isst dort für eine halbe Stunde und fährt dann zurück nach Hause. Oder er ist sehr naturnah und geht dementsprechend Fliegenfischen, jagt Elche und Bären mit dem Bogen und lebt am liebsten im Wald.
Weiter geht es für uns nach New Brunswick und damit zu der einzigen Provinz in Kanada, die offiziell zweisprachig ist. Amüsant, da man z.B. in einem Supermarkt nicht selten mit „Bonjourhallo“ begrüßt wird. Hier machen wir zum ersten Mal im Kleinen Bekanntschaft mit den unvorstellbaren Weiten Kanadas, als wir für 140 Kilometer einer unbewohnten Straße durch den Wald folgen. Einige Einheimische rieten uns von dieser langweiligen Route ohne Städte und Kultur ab - für uns hält die Stecke zwischen Renous und Plaster Rocks großartige und unberührte Natur bereit. Wir sehen unseren ersten Elch in Kanada, ein Kojote trottet vor uns her und am Lagerfeuer gesellt sich ein Fuchs den gesamten Abend zu uns, da er sich eine schnelle Mahlzeit erhofft. Die ebenfalls hier zu findenden Schwarzbären begnügen sich zum Glück mit Blaubeeren und meiden uns.
Wenn man nun bedenkt, dass im Süden (entlang der Grenze zu den USA) nahezu die gesamte Bevölkerung Kanadas lebt, bekommt man eine vage Vorstellung davon, wie rau und ursprünglich der arktische Norden beschaffen ist. Ein genaueres Bild gibt uns Max, den wir unterwegs treffen. Er arbeitet in einem Reservat der Ureinwohner bzw. First Nation im hohen Norden Ontarios. Straßen gibt es dort nicht - nur über den Luftweg erreicht er seine Arbeitsstelle. Ihn erwarten Mitternachtssonne im Sommer und ein deutlich dunklerer und längerer Winter bei - 30 bis - 40 °C. Dann kann er sich nur wenige Sekunden ungeschützt der Kälte aussetzen, ohne Erfrierungen zu bekommen. Über die Ureinwohner hören wir nicht nur von ihm, dass die „Indianer“ zum Großteil schon lange nicht mehr traditionell leben, Alkoholismus und Spielsucht eventuell durch den Mangel an Perspektiven weit verbreitet sind und Kinder häufig vernachlässigt und schlecht auf das Leben vorbereitet werden. Die Regierung gibt enorm viel finanzielle und materielle Unterstützung, bietet jedoch kaum Konzepte auf dem sozialpädagogischen Weg, die Lebenslage zu verändern. Wie uns an anderer Stelle berichtet wird, ist es schlicht unmöglich, ausreichend ausgebildetes Personal zu finden, das sich solch harschen Arbeitsbedingungen aussetzen möchte - selbst bei überdurchschnittlicher Bezahlung.
Von New Brunswick aus fahren wir weiter über den Petit Temis, einen wunderschönen 230 Kilometer langen Fahrradweg nach Quebec, dem französischen Teil Kanadas und damit der größten französisch sprechenden Region der Erde. In dieser fahrradfreundlichen Provinz erhalten wir häufiger den freundlichen Hinweis, an Jans Anhänger doch die Kanadische Flagge gegen eine Flagge der Provinz Quebec auszutauschen. Ein Zeichen für den Wunsch vieler Quebecois nach Unabhängigkeit, den die jahrelange Unterdrückung der englischsprachigen Siedler hervorgebracht hat.
Auch unser Französisch müssen wir hier immer wieder auf die Probe stellen, da sich manche Menschen, vor allem in den ländlichen Gebieten, schlichtweg weigern, auch nur ein Wort Englisch zu sprechen. Über die (für Kanadische Verhältnisse) alte und europäisch anmutende Stadt Quebec City führt unsere Route über die lebendig und äußerst abwechslungsreiche Stadt Montréal, die bereits in Ontario gelegene Hauptstadt Ottawa sowie die größte Stadt des Landes Toronto.
Immer häufiger fällt das Thermometer auf wenige Grad über Null und erinnert uns daran, dass es auch im Süden Quebecs und Ontarios im Winter -30°C werden kann. Wir bemühen uns also, schnell in die USA und damit in den Süden zu gelangen. Die herbstfarbenen Bäume, bekannt als der Indian Summer, geben die perfekte Kulisse dazu.
Den Umweg über die Niagarafälle entschließen wir uns dann doch zu nehmen, „da man da eben mal gewesen sein muss“. Überrascht, dass die Wassermassen uns selbst nach unzähligen Wasserfällen auf Island beeindrucken, sind wir glücklich, doch einige hundert Kilometer mehr in Kauf genommen zu haben.
Als wir  nach mehr als zwei Monaten an der Brücke zu den USA stehen, fällt es uns fast schwer, dieses freundliche Land zu verlassen. Noch am Tag zuvor, wie ein letzter Beweis für seine Gastfreundlichkeit, werden wir von einem Wildfremden zum Essen eingeladen und quasi zeitgleich von einer lieben Frau in ihr Haus zum Übernachten. Schließlich steigen wir aber doch in den Pick up des Grenzbeamten und werden über die für Fahrräder gesperrte Brücke in die USA gefahren.

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Fahrradweltreise. Bericht Nr. 6. (Jan) Island
(19.07. - 18.08.11/ 4.500 - 5.901 km/
35.300 - 45.870 hm)

"Wenn du dich im isländischen Wald verirrst - steh auf"

Wir sitzen im Flugzeug, rauschen über den Wolken in Richtung Island. Plötzlich reißt der Himmel auf und unter uns erstreckt sich eine Landschaft, die zu Recht immer wieder mit einem anderen Planeten verglichen wird. Aus der Höhe sehen wir zuerst nur braun-sandiges Gebirge durch das unzählige, verzweigte Flüsse fließen. Dann erblicken wir den größten Gletscher außerhalb der Arktis: Vatnajökull. Er ist von solch unfassbar großem Ausmaß, dass wir zuerst denken, erneut die Wolkendecke zu erblicken. Erst im Landeanflug erkennen wir Spuren menschlichen Lebens und sehen einige der wenigen Straßen des Landes. Island ist anders. Island ist ein junges Land mit aktiven Vulkanen und einer Landschaft, die noch immer nicht ihre endgültige Form gefunden hat.

Wir und zum Glück auch unsere Räder überstehen unbeschadet den ersten Flug von Tromsø nach Keflavik - auch wenn die zerfledderten Fahrradboxen zuerst anderes annehmen lassen. An der Touristinfo werden wir freundlich begrüßt und dann für ziemlich verrückt erklärt. Man erzählt uns, dass kein Isländer auf die Idee kommen würde, mit dem Fahrrad durch Island zu reisen. Am nächsten Tag befahren wir eine landestypische Hauptstraße: 25 Kilometer „Waschbrettschotterpiste“. 1:0 für die Touristinfo... Einige Zeit später machen wir Bekanntschaft mit dem nahezu omnipräsenten Wind, der nicht selten Windstärken bis 50 m/s erreicht und natürlich IMMER von vorne kommt. 2:0 für die Touristinfo… Als dann noch tagelanger Regen in Kombination mit niedrigen Temperaturen bis hin zu Nachtfrost hinzu kommen (und das im Hochsommer), nehmen Zweifel am Sinn der Reise zu und die Motivation ab. Doch gerade diese harschen Bedingungen sorgen dafür, dass wir die angenehmen Momente deutlich intensiver erleben und schätzen. Die Bedingungen auf Island sind in der Tat extrem, doch wer sich davon nicht abschrecken lässt, wird mit einmaligen Eindrücken belohnt. Ist das vielleicht der Grund, weshalb Isländer eine deutlich höhere Lebenserwartung haben als alle anderen Europäer?

Bereits am ersten Tag, als wir den Flughafen mit einer ersten groben Route in Richtung der Reykjanes Halbinsel im Südwesten verlassen, werden wir von großen Dampfwolken angelockt. Wir hoffen, ein warmes Bad in einem der natürlichen „Hot Pots“ nehmen zu können. Was wir finden, sind die größte Schlammquelle Islands „Gunnuhver“ und ein durch Erdwärme betriebenen Kraftwerk. Keine Seltenheit auf Island, da nahezu jegliche Energie auf der Insel entweder aus der Erde oder durch Wasserkraft gewonnen wird. Der dazugehörige Schwefelgeruch im Wasser (Eiergeruch) wird von nun an ein häufiger Begleiter - während der Körperhygiene und gelegentlich auch in der Küche.

Unsere weitere Route führt uns vorbei an karger Landschaft mit bizarren Lavaformationen, die über und über mit Moos bewachsen sind. Bis auf den duftenden wilden Thymian und Lupine gibt es wenig weitere Gewächse, die hier gedeihen. Größere Bäume oder gar Wälder sind überaus selten und nur an windgeschützteren Orten zu finden. Beim geothermischen Gebiet von Haukaladur, der eventuell bekanntesten Sehenswürdigkeit Islands, bestaunen wir den Geysir „Strokkur“, der im Abstand weniger Minuten kochendes Wasser bis zu 30 Metern gen Himmel spuckt. Der „echte“ Geysir, nur wenige Meter daneben, ruht bereits seit vielen Jahren.

Gullfoss, der größte Wasserfall Islands, gehört genau wie der Geysir zum „Goldenen Zirkel“ bzw. den wichtigsten Touristenattraktionen des Landes. Wen allerdings nicht nur Größe, sondern Charme und Schönheit interessieren, dem möchten wir den eher unbekannten Wasserfall Hjálparfoss empfehlen, der sich nur circa 30 Kilometer weiter südwestlich befindet.
Ein Muss für jeden, der Island in seiner ganzen Schönheit erleben möchte, ist die Hochebene. Unser Highlight war Landmannalaugar. Die „bunten Berge“ haben den Anschein, als wäre der Schöpfer unter die Impressionisten gegangen. Nach einer eindrucksvollen Wanderung durch die gesamte Farbpalette lässt es sich im Anschluss nirgendwo besser entspannen, als in der kostenlosen heißen Quelle vor Ort. Um diese Oase zu erreichen, sind jedoch allradbetriebene Geländewagen Fortbewegungsmittel Nr. 1. Und das aus gutem Grund: es gibt nicht eine asphaltierte Straße, von Zeit zu Zeit Sandstürme und Furten. Für uns als Radreisende war der erste Fluss, den wir barfuss zu durchqueren hatten, noch ein Erlebnis und wir waren stolz, als uns andere Touristen dabei fotografierten. Einige Tage später werden wir jedoch auf eine harte Probe gestellt. Bei acht Grad, Gegenwind und Dauerregen müssen wir an nur einem Tag 21 Flüsse durchqueren. Kein Wunder, dass andere Radreisende, die wir zuvor trafen, hier ohne Räder aus dem Bus steigen.

Nach knapp 500 km befahren wir das erste Mal die Ringstraße, welche die gesamte Insel umspannt und kommen daher von nun an deutlich schneller voran. Asphalt ist eine gute Erfindung für Fahrradweltreisende! Wir entscheiden also trotz Gegenwind und fehlender Zeit - der Weiterflug nach Kanada ist bereits gebucht - die Insel doch noch zu umrunden.

Auf dem langen Weg durch kaum bewohnte Landschaft entlang der östlichen Ringstraße in Richtung Mývatn, einem weiteren Highlight unseres Islandaufenthalts, treffen wir nur einmal auf eine isländische Großstadt. Aus der Sicht eines Deutschen ist diese Bezeichnung allerdings etwas irritierend, denn nach isländischen Verhältnissen hätte z.B. Taunusstein Hahn bereits einen Flughafen… Angekommen am wunderschönen See Mývatn sparen wir uns den kostspieligen Eintritt in das Naturbad und entscheiden uns für etwas mehr Abenteuer. Wir nehmen in der Grjótagjá“ (Grotte) das heißeste Bad unseres Lebens: ca. 44° C in der so genannten „Frauengrotte“ und 47° C in der „Männergrotte“.

In Akureyri, der zweitgrößten Stadt des Landes, sind wir zu Gast bei einer isländischen Familie. Als wir erzählen, dass wir bisher nur wenig Gelegenheit bzw. Geld übrig hatten, die Spezialitäten des Landes zu probieren, wird kurzerhand JEGLICHES besondere Essen für uns gekauft und köstlich zubereitet. Ein für uns wohl eher gewöhnungsbedürftiger „Genuss“ ist fermentierter Haifisch, dessen überaus starker Ammoniakgeruch noch Stunden nach dem Verzehr in der Nase umhergeistert.

In unserer Erinnerung bleibt Island als ein überaus abwechslungsreiches Land mit besonderen Schätzen bestehen. Hier lernten wir, dass Isländer zuerst reserviert und kühl auftreten, jedoch äußerst hilfsbereit sind, Islandpferde wirklich besondere Reittiere - leider aber auch schmackhafte Mahlzeiten sind und dass nicht wir, sondern das Wetter die Tageskilometer bestimmt. Mit diesen Gedanken und Erinnerungen an Orte und Menschen, die immer weiter in die Ferne rücken, verlassen wir Europa in Richtung Kanada. Takk fyrir/Dankeschön für die Eindrücke!

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Fahrradweltreise. Bericht Nr. 5. (Jan) Norwegen
(17.05. - 19.07./ 1.849 - 4.500 km/
9.600 - 35.300 hm)

Hinter jedem Hügel eine neue Welt


Wind und ein gehöriger Anstieg begrüßen uns am Nationaltag (17.05.) in Norwegen - dem Land, das einen immer wieder aufs Neue ins Staunen versetzt. Eine steinige Landschaft mit wenig ebener Fläche macht es uns schwer, einen Schlafplatz für die erste Nacht zu finden. Die vollen Taschen nach einem Hamsterkauf in Schweden verlangsamen unsere Fahrt - immerhin sind viele Lebensmittel doppelt bis dreimal so teuer wie in Deutschland. Als am nächsten Tag auch noch ein nicht enden wollender Regen einsetzt, sehen wir alle Klischees erfüllt.
Durchnässt, verfroren und bereit, das erste Mal eine bezahlte Unterkunft in Anspruch zu nehmen, erreichen wir über die größte Rundbogenbrücke der Welt Fredrikstad. Ohne recht zu wissen wohin, suchen wir nach einer erschwinglichen Unterkunft. In dem Moment spricht uns der Norweger Knut an und möchte wissen, ob wir tatsächlich den gesamten Weg von Deutschland nach Norwegen mit dem Rad gefahren sind. Im Gespräch (immer noch mit halb erfrorenen Händen…) stellt sich heraus, dass auch er begeisterter Radreisender und sehr sympathisch ist. Durch eine spontane Einladung zu sich nach Hause mit bester Bewirtung bestätigt er das durchaus.
Diese Begegnung soll nur eine von vielen Beweisen für die Herzlichkeit und Gastfreundschaft der Norweger sein. Als unser Weg an einem privaten Sommerfest vorbeiführt, können wir Teil, nahezu Mittelpunkt, einer Feier werden und so viel über das wirkliche Leben und die Bräuche der Landsleute kennen lernen. Frühstück und Dusche sind natürlich inklusive… Wildfremde Menschen geben uns - nachdem wir nur nach Wasser für die Nacht fragen - eingerichtete Zimmer, die Möglichkeit warm zu duschen, an anderer Stelle den Hausschlüssel und die Option, ihren Wagen zu fahren. Trygve, der lediglich von uns gehört hatte, hieß uns ohne uns vorher kennen zu lernen, für mehrere Tage in seinem Heim willkommen.
Schon mehrfach ist uns aufgefallen, dass Vertrauen in diesem Land eine Lebenshaltung ist, der die Deutschen nacheifern sollten. Beispielsweise gibt es auf den Fähren ein Buffet mit Selbstbedienung und daneben steht eine unbewachte Kasse - was wäre in Deutschland zuerst verschwunden, die Leckereien oder das Geld?
Auf unserem Weg nach Oslo - hier leben übrigens ca. 1/3 aller Norweger - stellen wir fest, dass die mit Abstand am häufigsten gewählte Hausfarbe passend zur Flagge rot mit weißen Fensterrahmen ist. In den Bergen sieht man häufiger die von uns geliebten Grasdachhäuser und praktisch überall kleine urige Hütten für allerlei Zwecke, meist jedoch für Feriengäste.
In Oslo selbst verbringen wir eine angenehme Zeit bei Freunden, nehmen einige der vielen  Kulturangebote, wie das Kon-Tiki Museum wahr, das über die abenteuerlichen Fahrten Thor Heyerdahls informiert und kaufen das erste und teuerste Bier auf dieser Reise für circa 5 € - und das in einem Supermarkt! Nach der Hauptstadt nimmt die Durchschnittshöhe zu und wir erreichen damit die typisch norwegische Landschaft. Bald erleben wir dann das erhebende Gefühl, in den ersten Fjord zu fahren und mit eigenen Augen die durch Eismassen geschaffenen Meeresarme zu sehen. Auf unserem Weg in Richtung Nordwest nimmt uns unberührte Natur, wie wir sie niemals vorher erlebt haben, gefangen. Wir begegnen mehreren Elchen in freier Wildbahn, fahren neben Rentieren durch eine Schneelandschaft in den Bergen, müssen dafür allerdings in Kauf nehmen, auch mal über 80 km bis zur nächsten Einkaufsmöglichkeit zu fahren und auf Schneehöhe zu schlafen. Das Sjoadal und den Jotunheimen Nationalpark möchten wir Bergbegeisterten unbedingt ans Herz legen. Etwas weiter südlich gibt es die Möglichkeit, Stabkirchen im „Drachenstil“ zu sehen. Es ist einmalig, die Verbindung aus vorübergehender Wikingerkultur und neu verbreitetem Christentum, verbildlicht in einer Holzkirche zu sehen, die zur Hälfte einem Wikingerboot gleicht. Besonders empfehlenswert sind die Kirchen in Lom und Heddal.

Viele unserer 15.000 Höhenmeter, die wir bisher alleine in Norwegen gefahren sind, sammeln wir bei den Berg- und Talfahrten auf spektakulären Straßen. Der „Trollstigen“ ist wohl die bekannteste Serpentinenstraße, noch mehr imponiert uns jedoch die Abfahrt zum meist fotografierten Fjord der Welt, dem Geirangerfjord. In nicht enden wollenden Kehren und einem Höhenunterschied von über 1000 m beanspruchen wir unsere Bremsen wie nie zuvor.

Wer gerne am Meer ist, soll nicht versäumen, den Atlanterhavsveien mit seinen vielen spektakulären Brücken abzufahren. Durch einen Tipp Einheimischer ist es uns sogar möglich, das an diesem Ort sehr seltene Schauspiel sich tummelnder Delphine zu verfolgen. Vorher müssen wir allerdings zwei Tunnel durchfahren, die 300 Meter unter dem Atlantik hindurchführen und für Fahrräder gesperrt sind. Auch hier erhalten wir Hilfe: Roy fährt extra für uns mit seinem Oldtimer-Truck und den Fahrrädern auf der Ladefläche mit Tempo 45 durch die Tiefe.

Immer wieder wird uns der 650 km lange Kystriksveien zwischen Steinkjer und Bodø (zumeist der Reichsweg 17) als schönster Teil Norwegens - natürlich ausgenommen der Lofoten (!) - empfohlen. Ausgestattet mit einem kostenlosen Informationsbüchlein, das in jeder größeren Stadt vor Ort erhältlich ist, wählen wir also diesen Weg, um unsere Fähre von Bodø auf die Lofoten zu erreichen. Tromsø wird unser nördlichstes Ziel in Norwegen, bevor wir unsere Reise auf Island fortsetzen.

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Fahrradweltreise. Bericht Nr. 4 (Karina) Schweden
(03.05. - 17.05.11/ 1.210 - 1.849 km/ 6.143 - 9.600 hm)

Mehr als nur Ikea
Helsingborg begrüßt uns als erste Stadt Schwedens. Wir fahren mit der Fähre ein. Die Abendsonne taucht den Hafen in goldenes Licht und bettet den Länderwechsel in eine eindrucksvolle Atmosphäre. Gerade haben wir uns an die Eigenheiten eines Landes gewöhnt, schon wechseln wir in ein Neues. Wir sind gespannt! Schon das Klima erscheint uns verändert, auch wenn uns das lächerlich vorkommt, da Dänemark und Schweden sehr nah beieinander liegen. Es ist deutlich kälter und es weht weniger Wind.

Schon in der ersten Nacht machen wir vom Jedermannsrecht Gebrauch und suchen uns ein ungestörtes Plätzchen in einem kleinen Waldstück außerhalb der Stadtgrenze Helsingborgs. Unter Einhaltung bestimmter Regeln dürfen wir ab sofort offiziell wild campen! Auf unserem Weg durch Schweden finden wir dank dieses Rechts stets ohne Probleme Schlafplätze. Highlights sind für uns eine so genannten Vindskydd („Windschutzhaus“) in Form einer offenen Blockhütte an einem idyllischen See und eine nahezu möblierte Wanderhütte in einem abgelegenen Wald- und Seengebiet. Die Vindskydds befinden sich meist in Wandergebieten. Um diese zu finden muss man jedoch etwas Glück haben - oder die richtigen Wanderkarten besitzen, haben wir uns sagen lassen. Das Fragen ansässiger Schweden war nur einmal von Erfolg gekrönt. Dafür durften wir zweimal im Garten freundlicher Schweden übernachten, einmal sogar in einem fest installierten Tipi.Einkaufen ist in jedem neuen Land ein Erlebnis. Mit ein wenig Einfallsreichtum können wir uns selbst ohne Schwedischkenntnisse viele Worte herleiten. Für uns gibt es viel Neues zu entdecken: Äpplebröd (Brot mit Apfelstücken), Brotaufstrich in Metalltuben (u.a. Schmelzkäse mit allen erdenklichen Zutaten: Geräuchertes Rentier, Salami, Bacon, Lachs…), Fete Kaka (Weiches Fladenbrot), Blåbär Soppa (Blaubeersaft), ... Leider ist Einkaufen aber auch zeitaufwendig. Wir haben nicht die Möglichkeit, viel auf Vorrat einzukaufen, da wir alles mit uns mittragen müssen. Das fast tägliche Einkaufen gehört daher zu unserer Routine.Die Landschaften, die wir durchfahren, sind sehr abwechslungsreich. Die Küstengebiete von Skåne, insbesondere in der Provinz Halland, gleichen in manchen Gebieten den Mittelmeerländern oder Norddeutschland. Im Landesinneren treffen wir immer wieder auf idyllische Seen.Die Fahrradwege sind gut ausgebaut, wenn auch nicht ganz so gut wie in Dänemark. Wir nutzen das GPS unserer Nokia Handys, das uns auch durch abgelegene Gegenden und Waldgebiete zuverlässig leitet. Die Autofahrer in Schweden sind wie in Dänemark sehr zuvorkommend und rücksichtsvoll. Viele Volvos und Saabs fahren nun vorrangig auf den Straßen. Im Süden Schwedens, insbesondere in Halland, begegnen wir zudem einer Unmenge an Chevrolets, so dass wir irgendwann das Gefühl bekommen, es müsse hier eine geheime Produktionsstätte geben.

Ab Götaland verändert sich die Landschaft merklich. Die Hügel und Wälder sind immer mehr mit Felsen durchsetzt und geben der Landschaft etwas Besonderes. Wenn manche Schwedenkenner behaupten, das landschaftlich authentische Schweden beginne erst etwas nördlicher, können wir das unterstreichen. In der Provinz Dalsland, westlich des Vänernsees, begegnen wir Schweden wie aus dem Bilderbuch. Wir streifen unberührte Wälder, vorwiegend mit Kiefern, Birken und Fichten bestückt. Der Boden und die Felsen sind übersät mit Blaubeersträuchern, Heidekraut, Schachtelhalm und Moosen aller Art und Farbe. Die Landschaft ist mit Seen und Sümpfen übersät, deren Ambiente immer idyllischer und naturbelassener werden. Auch ist das Gebiet, durch das wir fahren, deutlich weniger besiedelt. Konnten die meisten Schweden, die wir bisher getroffen haben meist ein fließend gesprochenes Englisch vorweisen, passiert es uns hier auch mal, dass wir Menschen begegnen, mit denen es außer Gesten und Körpersprache keinen Sprachschnittpunkt mehr gibt. Das hält aber manche Personen trotzdem nicht ab, munter in der eigenen Sprache weiter mit uns zu plaudern... Ein kleiner Vorgeschmack, wie es uns noch in vielerlei Gegenden dieser Welt gehen wird! Die Mehrheit aller Häuser in Schweden sind Holzhäuser. Die Farbkombinationen rot oder blau mit weiß umrahmten Fenstern und Türen sind offenbar besonders beliebt. In Küsten- und Seenähe sind Boote neben dem Auto in der Hofeinfahrt nichts Seltenes. Auch finden wir an fast jedem Haus oder im Hof schwedische Flaggen, oft sogar an einem Flaggenmast, die uns nie vergessen lassen, in welchem Land wir gerade sind. Die zum Teil künstlerisch bemalten Briefkästen sind oft in Reihen direkt an der Straße angebracht. Die Postautos - zumindest die, die wir sahen - haben ihren Lenker auf der rechten Seite und können daher die Post ohne auszusteigen einschmeißen. Ein praktisches System finden wir, da die einzelnen Briefkästen in Schweden weiter von einander entfernt sind.Kulturell hat Schweden für uns auch Einiges zu bieten. Wir lernen das schöne Göteborg kennen, wobei uns die Bauweise und Anordnung der Häuser und das Ambiente zum Großteil besser gefallen als die angekündigten Sehenswürdigkeiten. In Bohuslän, der nordwestlichen Provinz Götalands, folgen wir den Spuren lang vergessener Zeitalter. Die Hällristingar (Felsenritzungen) bei Tanum sind Überbleibsel aus der Bronzezeit. Der Steinkreis sowie die Schiffssetzung bei Blomsholm stammen aus der Eisenzeit.Je mehr wir in den Norden kommen, desto mehr regnet es. Unsere „Gutes-Wetter-Glückssträhne“ bricht endgültig ab, als wir nach dem Besuch Göteborgs zwei Regentage in Folge haben - einmal sogar ein wenig Hagel - und der Himmel zunehmend bewölkt bleibt. Glücklicherweise sind aber auch das die Abende, an denen wir oben genannte Unterkünfte im Tipi und in einer Schutzhütte finden.
Mit weiteren 643 Kilometern und 3585 Höhenmetern unter den Rädern verlassen wir Schweden nach zwei Wochen guter Dinge.

 

In den nächsten Tagen überqueren wir den Polarkreis und erleben von da an die Mitternachtssonne. Dunkel wird es allerdings auch jetzt schon nicht mehr. Vielleicht können wir uns dann ja nachts sonnen - wenn es zu dieser Zeit nicht ebenfalls regnet...


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Fahrradweltreise. Bericht Nr. 3 (Jan) Dänemark
(27.04. - 03.05.11/ 900 - 1.210 km/ 4.367 - 6.143 hm)

"Wenn dir das Wetter nicht passt, warte zehn Minuten"

Dänemark begrüßte uns mit überaus gut beschilderten und schönen Fahrradwegen. Bei wenigen ist jedoch Vorsicht geboten, da sie eher für Mountainbiker als für Radreisende mit circa 50 kg Gepäck ausgelegt sind. Wie in Deutschland ist auch in Dänemark das „Wildzelten“ verboten. Hier kommt man allerdings nicht einmal in Versuchung, da es als Alternative zu teuren Campingplätzen unzählige ausgewiesene Orte gibt, an denen das Übernachten erlaubt und nahezu immer kostenlos ist. Mal findet man dort Bänke und Tische, Grillstellen, Toiletten und manchmal sogar kleine offene Blockhütten, in denen man herrlich geschützt übernachten kann. Wer diese günstige Alternative nutzen möchte, dem empfehlen wir unbedingt entsprechende Karten, die diese Orte ausweisen, da sie meist sehr schwer zu finden sind.
Dänemark als Ganzes bleibt uns in Erinnerung als ein fahrrad- und auch sonst sehr freundliches, häufig ländlich anmutendes Land mit vielen Fachwerk-, Backstein- und Reetdachhäusern sowie mehreren Herrenhäusern, die man gut von der Straße aus sehen kann. Kopenhagen und dort besonders die selbst erklärte Freistadt Christiania sind kulturelle Highlights.

Dänen bevorzugen es, englisch angesprochen zu werden, auch wenn besonders die älteren Menschen gutes Deutsch sprechen. Das Essen unterscheidet sich kaum von deutscher Kost. Überall findet man Kebab-Buden, Burgerhäuser, Pizzerien oder HotDog-Buden. Das traditionelle Essen gleicht der norddeutschen Küche. Durch hohe Steuern muss man erwartungsgemäß etwas tiefer in die Tasche greifen.
Zum Wetter lässt sich nur der passende, in Dänemark aufgeschnappte Satz sagen: „Wenn dir das Wetter nicht gefällt, warte 10 min.“

Wie erging es uns?
Viel Gegenwind machte das Vorankommen schwer - auch den ersten Platten verzeichneten wir in Dänemark (Karina). Tatsächlich sind wir einmal im 5. Gang bergab gefahren und haben gerade mal 9 km/h geschafft. Deutlich luxuriöser ging es für uns auf den Fähren zu: wenn man es gewöhnt ist, sich nur noch aus eigener Kraft fortbewegen zu können, ist selbst ein einfaches, kleines und schwankendes Fährschiff ein Luxusdampfer.
Gleich mehrere Bekanntschaften haben uns die Zeit deutlich verschönert. Wir fühlten uns immer willkommen und genossen die Natur.


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Fahrradweltreise. Bericht Nr. 2 (Karina) Deutschland, Nützen
(10.04. - 27.04.11/ 0 - 900 km/ 0 - 4.367 hm)

Gedanken einer Reisenden

Wir fahren durch ein frühlingshaftes Deutschland. Die Natur erwacht zum Leben. Überall stehen die Bäume, Büsche und Felder in Blüte. Wenn wir vorbeifahren, streifen uns eine Unmenge an bezaubernder Düfte und Farben. Die warme Luft und die Sonne streicheln unsere Haut. Vögel zwitschern ihre Balzkonzerte. Was für eine schöne Jahreszeit der Frühling ist! Da wir nordwärts fahren wird uns diese wunderbare Jahreszeit noch eine Weile begleiten.
Auf verschiedenen Ebenen gehen die Veränderungen in den letzten zwei Wochen sehr schnell vonstatten.
Ich spüre wie mein Körper immer kräftiger wird. Anfangs habe ich es doch ganz schön bereut, mir während der letzten Wochen Zuhause keine Zeit mehr für körperliches Training genommen zu haben. Denjenigen, die nach Vorbereitungstraining gefragt haben, habe ich unerschrocken erklärt, dass die Anfangszeit eben etwas härter sein werde, ich aber ja noch genügend Zeit zum trainieren habe. Wie anders sich doch die ausgelebte Realität anfühlt – man kann sich noch so viel im Vorhinein überlegen, erlebt fühlen sich die Situationen doch ganz anders an. Das Gewöhnen an die tägliche körperliche Herausforderung ist härter als gedacht, und zugleich leichter. Härter, weil es doch ständig an einigen Ecken und Enden meines Körpers ziept und zieht. Leichter, weil ich gleichzeitig fühle, wie sich in mir eine Stärke entfaltet, die mich immer mehr erfüllt und mir die körperlichen Wehwehchen erträglicher, ja sogar fast erstrebenswert macht.
Auch die Wandlung zu Outdoormenschen geschieht unerwartet schnell. Schon jetzt ist uns weniger kalt, wenn wir uns dauerhaft draußen aufhalten, wenn wir uns kalt duschen oder auch mal ohne Zelt im Wald oder nur unterm Tarp geschützt schlafen. Natürlich begünstigt das Wetter unsere leichte Anpassung. Wir haben unheimliches Glück: der April ist tagsüber so warm wie der späte Mai, so dass wir uns schon zweimal die Gesichter verbrannte haben. Tagsüber können wir in kurzer Kleidung radeln. Regen haben wir erst einmal erlebt. Nur abends ist es noch ganz schön kühl. In den ersten Tagen haben wir uns dann meist ins Zelt unter den Schlafsack verkrochen und hatten kaum die Muße noch viel zu machen. In der Zwischenzeit ist die Kälte immer weniger unser Feind, vielmehr treibt sie uns dazu an, in Bewegung zu bleiben und uns nicht zu verkrampfen - also zu verschließen - sondern zu öffnen.


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Fahrradweltreise. Bericht Nr. 1 (Jan) Deutschland, Leopoldshöhe
(10.04. - 27.04.11/ 0 - 900 km/ 0 - 4367 hm)

Und es geht los!

 

Fast eine Woche ist seit dem Beginn unserer Weltreise vergangen. Tatsächlich ist heute der erste Tag, an dem Zeit genug für einen längeren Bericht ist. Bisher sind wir trotz frühem Aufstehen erst spät losgekommen, da das Packen, Sortieren und Frühstücken morgens einfach noch zu lang dauert. Tagsüber über sind wir unterwegs und abends haben wir nach dem Richten des Lagerplatzes und dem Kochen gerade noch genug Kraft, um uns aneinander gekuschelt ins Zelt zum Schlafen zu legen. Wie man sieht, ist die Weltreise ein echter Vollzeitjob ...

Unser neues Leben führt, wie erwartet, viele Entbehrungen mit sich. Jeden Tag nur eine kalte "Dusche" in Form von Flüssen oder PET-Flaschen bei doch eher eisigen Temperaturen und Wind. Auch unsere Knie senden bereits erste Mitteilungen, dass sie die Mehrbelastung durchaus spüren. Der angenehme Nebeneffekt solch eines Alltages ist allerdings, dass wir uns über immer größere Tagesetappen freuen können und insgesamt merken, wie sich unsere Körper an die neue Umwelt anpassen. Auch die Gedanken verändern sich: nach dem ganzen Vorbereitungsstress und der Planung ist man nun mitten in seinem Vorhaben. Man fragt sich, ob die Reise auch genügend Gegenwert für die Entbehrungen, die man auf sich nimmt, bietet. Immerhin hat man die wichtigen Menschen verlassen, die man immer in seiner Nähe wusste, den angenehmen Job aufgegeben und sogar sein Zuhause auf "überall" verlegt. War nicht alles gut wie es war? Ich beantworte mit ja - doch nun schreibe ich mit Karina ein neues Kapitel und freue mich, die Möglichkeit zu haben, die Welt in all ihren Nuancen zu erleben.

Ich glaube, das Folgende konnte ich in meinem ganzen Leben - außer vielleicht am 31.12. - bisher nie sagen: Wir haben gestern unseren letzten Termin für dieses Jahr gehabt :-)! Wir besuchten Herrn Kleinebenne bei Patria, unserem Fahrradhersteller, um ein letztes Mal die Fahrräder checken zu lassen und noch einige Ersatzteile abzuholen. Noch einmal ein großes Dankeschön an Patria, da uns dieser Service nichts kostete und sogar die Ersatzteile ein Geschenk des Hauses waren.


 

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